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den Visionen, wenn die Offenbarung nachläßt, wiederholt er das sehnsüchtige Klagen und Flehen (3,1ff. 4,2.12.22ff. 5,21ff.34. 6,36ff. 7,45ff.62ff.116ff.132ff. 8,4ff.42ff. 9,27ff.). Er selbst weiß es wohl, daß sein beständiges Grübeln über Gottes Wege diese Offenbarungen ihm eingebracht hat (12,4). Dann kommt die himmlische Stimme zu ihm, die er als die Stimme eines Engels und zwar des Engels Uriel deutet (4,1); aber er vernimmt nur die himmlischen Worte; von der Gestalt des Engels sagt er nichts (4,1). Der Engel redet dann im Wechselgespräch mit der Seele des Sehers. Er beantwortet ihre Fragen; aber oft muß der Seher Worte vernehmen, die er nach seiner Überzeugung als Mensch nie gefunden hätte, ganz andere, als die er gewünscht und erwartet hätte, die ihn aufs Tiefste erschüttern: zum Beweise dessen könnte man fast jede Antwort des Engels in den drei ersten Visionen citieren. Oder der Engel zeigt ihm ein Gesicht, dessen Sinn dem Seher zunächst nicht deutlich ist und erst nachträglich erklärt werden muß (4,48ff.). Dazwischen erschallt auch wohl Gottes Stimme selbst, so wie der Ton vieler Wasser, daß die Erde in ihren Vesten erbebt (6,13ff.). Im zweiten Teile des Buchs werden ihm Visionen zu teil: da sieht er zunächst wundervolle Dinge, die im Bild auf die Zukunft deuten; aber er versteht sie nicht. Von Angst und Schrecken ergriffen ruft er den Engel herbei, der dann kommt und ihm die Deutung verkündet. So sieht er eine Erscheinung, rechts von hinten (9,38, vgl. dazu Jes. 30,21), mit der er sich unterredet (9,40ff.), die sich plötzlich in eine Lichtgestalt verwandelt von übermenschlichem Glanz und mit lauter Stimme schreit (10,25ff.). Im Gesicht hört er einmal eine Stimme, die ihm befiehlt, genau hinzusehen (11,36). Mancherlei hört und sieht er, was zu wunderbar ist, als daß er es beschreiben könnte (10,55f.). Die Gesichte und Offenbarungen sind begleitet von größter psychischer Aufregung des Sehers: das Überwunderbare und oft zunächst ganz Unverständliche flößt ihm Angst und Schrecken ein: er wacht auf vor gewaltigem Schrecken (5,14. 12,3. 13,13), der Leib schaudert, die Seele will vergehen (5,14. 12,5); er schreit laut auf vor der Fülle der Schrecknisse (10,27) und fürchtet sich, zu sterben (10,34). Er weiß nicht, ob er geträumt hat, oder ob seine Sinne ihn täuschen (10,36); er fällt nieder wie ein Toter (10,30). Dann aber wird er vom Engel gekräftigt und auf die Füße gestellt (5,15. 10,30). Zugleich aber beseelt ihn das Hochgefühl, daß er gewürdigt sei, dies alles zu hören und zu sehen (6,32f. 10,5.7. 12,36. 13,14.53ff.). Zum Schluß einer jeden Vision setzt der Engel dann den Termin fest, an dem die neue Offenbarung erfolgen solle und dann auch wirklich erfolgt (5,13.21. 6,30f. 9,23ff. 10,58f. 12,39. 13,56). — Nach der gewöhnlichen Anschauung (die auch der Verf. in seinen „Wirkungen des heiligen Geistes“ S. 55-58 wiedergegeben hat) würde alles dies nur als Nachahmung zu beurteilen sein: wirkliche pneumatische Erfahrungen habe es nur in der prophetischen und dann wieder in der neutestamentlichen Epoche gegeben. Hieran aber ist nur das richtig, daß das offizielle, vom Kanon beherrschte Judentum allerdings giltige Offenbarungen Gottes nur im Kanon des A. T. zugeben wollte und seine eigene Zeit als vom göttlichen Geiste verlassen beurteilte (wie denn sicherlich die große, von heroischen Personen getragene, politische Prophetie, die schon seit dem persischen Zeitalter nur noch Epigonen hervorbrachte, im griechischen vollends ausgestorben war). Eine andere Frage aber ist die, ob damals solche visionären Zustände, wie sie IV Esra beschreibt, wirklich vorgekommen sind oder nicht. Solche Erscheinungen sind aber in Wirklichkeit nicht das Eigentum einer Epoche, sondern sie kommen zu allen Zeiten und an allen Orten vor und sind auch noch gegenwärtig mitten unter uns: der geistige Inhalt, der sich mit ihnen verbindet, und die Beurteilung, die sie erfahren, wechselt; die Erscheinung selbst bleibt immer dieselbe. Es ist also nur ein Vorurteil, wenn man glaubt, derartige geheimnisvolle Erscheinungen seien im nachkanonischen Judentum einfach unmöglich gewesen; vielmehr die Thatsache, daß solche Erfahrungen im neutestamentlichen Zeitalter plötzlich wieder in der Litteratur auftreten (im N. T., aber auch im Judentum; vgl. „Wirkungen“ S. 57), und daß die Zeitgenossen für das „πνεῦμα“ unmittelbares Verständnis zeigen, lehrt

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Hermann Gunkel (Übersetzer): Das vierte Buch Esra. Mohr Siebeck, Tübingen 1900, Seite 341. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasVierteBuchEsraGermanGunkelKautzsch2.djvu/11&oldid=- (Version vom 30.6.2018)