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Und ließ es von der Hand als Leuchte hangen
Und seufzte tief, wie er uns nahe war.

124
So kam er Eins in Zwei’n dahergegangen,

Und leuchtet’ als Laterne sich mit sich –
Wie’s möglich, weiß nur der, der’s so verhangen.

127
Nachdem er bis zum Fuß der Brücke schlich,

Hob er, um näher mir ein Wort zu sagen,
Den Arm zusammt dem Haupte gegen mich,

130
Und sprach: „Hier sieh die schrecklichste der Plagen!

Du, der du athmend in der Höll’ erscheinst,
Sprich, ist wohl eine schwerer zu ertragen?

133
Jetzt horch, wenn du von mir zu künden meinst:

Beltram von Bornio bin ich, und Johannen,[1]
Dem König, gab ich bösen Rathschlag einst,

136
Darob dann Sohn und Vater Krieg begannen,

Wie zwischen David einst und Absalon,
Durch Ahitophel Fehden sich entspannen.

139
Mein Hirn nun muß ich zum gerechten Lohn

Getrennt von seinem Quell im Rumpfe sehen,
Weil ich getrennt den Vater und den Sohn,

142
Und so, wie ich gethan, ist mir geschehen.“
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Neunundzwanzigster Gesang.
VIII. Kreis. 10. Bulge. Fälscher. Alchymisten.

1
Das viele Volk und die verschiednen Wunden,

Sie hatten so die Augen mir berauscht,
[163] Daß sie vom Schau’n mir ganz voll Zähren stunden.

4
Da sprach Virgil: „Was willst du noch? Was lauscht

Und starrt dein Auge so nach diesen Gründen,
Wo’s Gräuelbild um Gräuelbild vertauscht?

7
Nicht also thatst du in den andern Schlünden.

An zweiundzwanzig Miglien kreist dies Thal,[2]
Drum kannst du hier nicht Jegliches ergründen.

10
Schon unter unserm Fuß glänzt Lunens Strahl,[3]

Und wenig dürfen wir uns nur verweilen,
Denn noch zu sehn ist viel’ und große Qual.“

13
Ich sprach: „„Erlaubtest du, dir mitzutheilen,

Welch’ einen Grund ich hatt’, hinabzuspähn,
So würdest du wohl minder mich beeilen.““

16
Er ging, und ich ihm nach und gab im Gehn

Dem Meister von dem Grund des Forschens Kunde,
Und sprach: „„Wohl hab’ ich scharf hinabgesehn,

19
Denn eine Seele wohnt in diesem Schlunde

Von meinem Stamm, und sicher ist an ihr
Bestraft die Schuld durch manche schwere Wunde.““

22
Mein Meister sprach darauf: „Nicht mache dir

Noch länger Sorg’ um diesen Anverwandten;
An Andres denk’, er aber bleibe hier.

25
Ich sah ihn bei der Brücke den Bekannten

Dich zeigen, und dir mit dem Finger drohn


  1. 134. Beltram oder Bertrand von Bornio, Visconte von Hautefort [Autafort in Uhlands herrlicher Ballade wodurch der kampfbereite Troubadour unter uns bekannt geworden] wird beschuldigt, zwischen Heinrich dem Zweiten von England und seinen Söhnen Zwietracht ausgesäet und die letzten zur Empörung gegen den Vater angereizt zu haben. Wir überlassen es den Geschichtsforschern, zu entscheiden, ob Dante den ältesten Sohn, Heinrich, der schon im Alter von 15 Jahren bei Lebzeiten des Vaters gekrönt und deshalb der junge König (il re giovane) genannt wurde, oder den jüngsten gemeint habe, der Johann hieß, und zur Herrschaft über Irland bestimmt, König Johann (il re Giovanni) benannt werden konnte. – Beltram soll die Glieder der Familie gegen das Haupt derselben, den Vater, aufgewiegelt haben, [163] und trägt nun zur Strafe sein eignes Haupt vom Rumpfe getrennt. Es dient ihm in der Hölle als Leuchte, wie es ihm dazu auf Erden hätte dienen sollen, um ihm die Folgen seines Verbrechens zu zeigen.
  2. XXIX. 8. Hier bezeichnet der Dichter zuerst mit bestimmten Worten den Umfang des Höllentrichters, und läßt uns dadurch, daß er V. 86 des folgenden Gesanges den nächsten Kreis nur als halb so groß angiebt, auf das Verhältniß schließen, in welches seine Phantasie die verschiedenen Kreise in Hinsicht ihrer Größe zu einander stellt. Hierauf sich begründend, hat man den Umfang jedes Kreises sehr genau berechnet, womit wir aber unsere Leser nicht behelligen wollen. Wir würden durch Mittheilung einer solchen Berechnung die Phantasie des Lesers mehr verwirren als aufklären, da es kein Mittel giebt, den Raum, welchen die Dichter durchreisen, mit der Zeit, binnen welcher die Reise durch die Hölle vollbracht wird, in Uebereinstimmung zu bringen. Uebrigens ist diese Berechnung für den dichterischen Zweck völlig gleichgültig
  3. 10. Da der Mond voll war, als die Dichter ihre Reise begannen, so befindet sich, wenn der Mond unter ihren Füßen steht, die Sonne über ihren Häuptern; es ist daher jetzt auf der östlichen Hemisphäre Mittag.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 162 bzw. 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_162163.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)