Pistoja, du, und tilgst dich in der Glut?
Sind Frevler Alle doch, die dir entstammen!“
Selbst Kapaneus gottlästerndes Erfrechen[1]
Erhob sich nicht zu dieses Diebes Wuth.
Und ein Centaur kam rennend, pfeilgeschwind,
Und schrie voll Wuth: „Wo find’ ich diesen Frechen?“
An Tusciens Strand, als ihm am Kreuze hingen,
Bis wo die menschliche Gestalt beginnt.
Sich an den Schultern fest und spie mit Macht
Glut auf uns Alle, die vorübergingen.
Er ist es, der so oft zu blut’gen Teichen
Die Auen unterm Aventin gemacht.
Weil er als Dieb den schlauen Trug vollführt,
Mit jener großen Heerde zu entweichen.
Weil Herkuls Keul’ ihn traf mit hundert Schlägen,[3]
Von welchen er vielleicht nicht zehn gespürt.“
Her kamen Drei an jenem tiefen Ort,
Doch konnt’ uns erst ihr laut Geschrei bewegen
Drum blieben wir in der Erzählung stehen,
[141] Und horchten hin nach dieser Schatten Wort.
Da rief den Andern einer dieser Drei,
Und nannt’ ihn, wie’s durch Zufall oft geschehen.
Drum legt’ ich auf die Lippen meinen Finger,
Damit mein Führer horch’ und stille sei.
Von eitlen Fabeln sei, so staun’ ich nicht!
Ich sah’s, doch ist mein Zweifel kaum geringer.
Auf sie gekehrt, schnell eine von den Schlangen[6]
Mit drei Paar Füßen her und packt’ ihn dicht.
Indeß das vordre Paar die Arm’ umfing,
Dann schlug sie ihre Zähn’ in beide Wangen.
Schlug sie den Schwanz durch zwischen beiden Beinen
Und drückt’ ihn hinten an als engen Ring.
Wie dieses Ungethüm sich wunderbar
Die Glieder ihm umrollte mit den seinen.
Wie warmes Wachs, die Farben so vermengend,
Daß keins von beiden mehr dasselbe war,
Bevor es brennt, mit Braun es überzieh’n,
Noch eh’ es schwarz wird, schon das Weiß verdrängend.
- ↑ 14. Kapaneus. S. Ges. 14. V. 51 ff.
- ↑ 25. Als Herkules mit den Rindern des Geryon zum aventinischen Berge gekommen war, entschlummerte er. Während er schlief, zog Kakus, ein berüchtigter Räuber, die Rinder, eins nach dem andern, bei den Schwänzen in seine Höhle, um durch die rückwärts gewandten Fußtapfen die Verfolger zu täuschen. Aber das Gebrüll der Ochsen verrieth den Dieb, der unter der Keule des Herkules erlag. Als Räuber sollte er unter den Gewaltthätigen sein. Als listiger heimlicher Dieb ist er im tiefern Kreise.
- ↑ 32. Weil er vor den ersten zehn Streichen wahrscheinlich todt war. Das fortgesetzte Schlagen des Herkules auf den Leichnam ist ein gelegentlich angebrachtes lebendiges Bild herkulischer Wuth.
- ↑ [141] 43. Cianfa, aus der edlen Familie der Donati. Es ist nicht entschieden, ob er das Eigenthum der Bürger oder das des Staats gestohlen habe. Von den Andern, die sich in der Folge dieses Gesanges verwandeln, von Agnello Bruneleschi, Buoso Donati und Puccio Galigai, ist nichts weiter bekannt, als daß sie florentinische Bürger und zwar zum Theil aus edlen Geschlechtern waren.
- ↑ 49 – 78. Das Bild, das in den angegebenen Versen gezeichnet ist, wird durch die Anmerkung zum vorigen Gesange V. 80 erläutert. Zwei Diebe verbinden sich hier so fest, daß sie zu einer Gestalt werden, die mit keiner von beiden Aehnlichkeit hat, und von welcher man nicht weiß, ob es Zwei sind, oder Einer.
- ↑ [50. Nemlich Cianfa in Gestalt einer sechsfüßigen Schlange.]
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 140 bzw. 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_140141.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)