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Die Mutter gab mich einem Herrn zum Knecht,

Weil sie von einem Prasser mich empfangen,
Der all sein Gut und auch sich selbst verzecht.

52
Dann in des Königs Thibaut Dienst gegangen,

Des guten, trieb ich dorten Gaunerei:
Dem Lohn im Pfuhl hier bin ich nicht entgangen.“

55
Und Eberzahn, aus dessen Munde zwei

Hauzähne ragten, wie aus Schweinefratzen,
Bewies ihm jetzt, wie scharf der eine sei.

58
Die Maus war in den Krallen arger Katzen,

Doch Sträubebart umarmt’ ihn fest und dicht,
Und rief: „Ich halt’ ihn, fort mit euren Tatzen.“

61
Und zu dem Meister kehrt’ er das Gesicht:

„Willst du, bevor die Andern ihn zerreißen,
Noch etwas fragen, wohl, so zaudre nicht.“

64
Mein Führer: „Sprich, wie andere Sünder heißen

Dort unterm Pech? Sind auch Lateiner da?“[1]
Und jener sprach: „ja! noch eben unterm heißen

67
Pech dort war Einer jenes Lands mir nah!

O wär’ ich noch, wie er, vom Sud umgeben,
Da ich dort nichts von Klau’n und Haken sah!“

70
„Wir haben’s schon zu lange zugegeben!“

Scharfhaker schrie’s, und hakt’ auf ihn hinein,
Auch blieb ein Stück vom Arm am Haken kleben.

73
Schon zielte Drachenblut ihm nach dem Bein,[2]

Allein der Hauptmann blickt’ auf seine Schaaren
Im Kreis herum und schien ergrimmt zu sein.

76
Da wandte sich, sobald sie stille waren,

Mein Herr zu ihm, der auf sein wundes Glied
Herniedersah, um mehr noch zu erfahren.

79
[125] „Wer ist’s, von dem dein Mißgeschick dich schied,

Als du dich nach der Oberfläch’ erhoben?“ –
„Der von Gallura ist’s, der Mönch Gomit.[3]

82
Im Trug bestand er all’ und jede Proben,

Des Herrschers Feinde hielt er im Verließ,
Und that mit ihnen, was sie alle loben.

85
Geld nahm er, wie er selber sagt, und ließ

Sie sachte ziehn, Er, der in Amt und Ehren
Sonst auch als Schelm nicht klein, nein groß, sich wies;

88
Viel pflegt’ mit ihm Herr Zanche zu verkehren[4]

Von Logodor – sie schwatzen immerfort,
Als ob sie jetzt noch in Sardinien wären.

91
Ach, seht, wie fletscht die Zähne Jener dort!

Gern spräch’ ich mehr, doch würd’ ich mehr geschändet.
Er droht ja wüthend schon bei jedem Wort.“

94
Doch Sträubebart, zu Fledermaus gewendet,

Des Auge grimmig glotzte, schalt ihn sehr:
„Verdammter Vogel, fort! dein Lied geendet!“

97
„Willst du,“ begann der bange Wicht nunmehr,[5]

„Willst du Toscaner und Lombarden sehen?
Ich schaffe sie dir nach Belieben her,

100
Wenn nur die Grimmetatzen ferne stehen,

Und deren Rache sie nicht zittern macht.
Und ich, ich will nicht von der Stelle gehen,


  1. 65. [Lateiner = Italiener. Darunter begreift Dante mittelbar gleich nachher auch einen Sardinier: V. 67 „einer jenes Land’s“, eigentlich „ein Nachbar jenes Land’s.“]
  2. 73. Der Hauptmann Sträubebart kann keine Ordnung unter seinen Schaaren erhalten. Dies Schicksal theilen alle Hauptleute, welche, selbst Teufel, über Teufel zu befehlen haben.
  3. [125] 81. Sardinien, welches damals unter der Botmäßigkeit der Pisaner stand, war in vier Bezirke eingetheilt: Logodoro, Callari, Gallura und Alborea. Den Bezirk Gallura verwaltete Nino von Visconti, dessen Gunst der Mönch Gomita sich im hohen Grade erwarb. Er trieb damit allen Mißbrauch, welchen Günstlinge kleiner und großer Herren oft zu treiben pflegen, verkaufte Aemter, verzehrte öffentliche Gelder und setzte die gefangenen Feinde seines Gebieters, weil sie ihm Geld gaben, in Freiheit, bis er von Nino aufgeknüpft wurde.
  4. 88. [Michael Zanche, ohne Zweifel Seneschall Enzio’s, Sohnes Friedrichs II., bewog nach dessen Gefangennahme durch die Bolognesen seine Frau Adelasia, weil sie Erbin von Gallura in Sardinien war, ihm ihre Hand zu geben. Dies betrachtet Dante als eine Erschleichung.]
  5. 97-151. Wir sehen im Folgenden, wie der Sünder seine Aufseher und Wächter betrügt, um aus ihren Krallen wieder ins Pech zurückzukommen. Der eine Teufel, der den Sünder scheinbar in Schutz nimmt, der andere, der, obwohl er vorher der Strengste schien, doch nun zuerst auf den Vorschlag, ihm einige Freiheit zu lassen, eingeht; [126] der Gönner, der, als der Sünder nun wirklich ins Pech springt, ihm wüthend nachsetzt, ihn aber nicht mehr einholt, – derjenige endlich, welcher, über dies Entkommen aufgebracht, den Collegen, der es verschuldet, anpackt und sich mit ihm herumbalgt, bis beide selbst in den Pechpfuhl zu den untergeordneten Sündern herabfallen und sogar durch die Hilfe des Vorstehers und der Gefährten nicht gerettet werden können, – alles dies sind im Einzelnen treffend gezeichnete Figuren.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 124 bzw. 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_124125.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)