Da schritten wir in einen Wald voll Graun,
Und nirgend war die Spur von einem Pfade.
Nicht glatt ein Zweig, nur knotige, verwirrte,
Nicht Frucht daran, nur gift’ger Dorn zu schaun.
Damhirsch und Eber durch so dichten Hain,
Dies Wild, das nie die Saat des Feldes kirrte.
Die, von den Inseln Troja’s Volk zu scheuchen,
Es ängsteten mit Unglücks-Prophezein,
Klau’n an den Füßen, menschlich von Gesicht,
Wehklagend aus den seltsamen Gesträuchen.
Sprach Er, „der zweite Binnenkreis; zu schauen
Indeß du weiter gehst, versäume nicht,
Und gieb wohl Acht, denn Allem, was ich sprach,
Wirst du dann durch den Augenschein vertrauen.“
Doch sah ich Keinen, der so ächzt’ und schnaubte,
So daß mein Knie mir fast vor Schauder brach.
Verborgne stöhnten aus dem dunkeln Raum,
Die mir zu sehn das Dickicht nicht erlaubte.
Begann mein Meister, „und du wirst entdecken,
Was du vermuthest, sei ein leerer Traum.“
Riß einen Zweig von einem großen Dorn,
Und plötzlich schrie der Stumpf zu meinem Schrecken:
Aus ihm entquoll, und diese Wort’ erklangen:
„Was peinigt uns dein mitleidloser Zorn?
Wohl größre Schonung ziemte deiner Hand,
Und wären wir auch Seelen nur von Schlangen.“
Dort ächzt und sprüht, wenn aufgelöst in Winde,[5]
Der feuchte Dunst den Weg nach außen fand;
Und mir entsank das Reis, daß ich geraubt;
Dann stand ich dort, als ob ich Furcht empfinde.
Was früher schon ihm mein Gedicht entdeckte,“
So sprach Virgil, „nie hätt’ er sich’s erlaubt.
- ↑ [XIII. An Erfindung und Darstellung einer der schönsten Gesänge.]
- ↑ 7. Corneto, eine kleine Stadt im Kirchenstaate. Cecina, ein Fluß, der südwärts von Livorno ins Meer fällt. Zwischen beiden finden sich viele Wälder und Gebüsche, die mit Ebern, Hirschen und Rehen bevölkert sind.
- ↑ 10. Die Harpyen prophezeiten, nach Virgil, den Trojanern auf den strophadischen Inseln im ionischen[WS 1] Meere, daß sie, ehe sie die Stadt mit Mauern umgeben könnten, durch Hunger und Ungemach viel leiden würden.
- ↑ 16. Die zweite Abtheilung des siebenten Kreises enthält die Gewaltthätigen gegen sich selbst, zunächst Selbstmörder.
- ↑ [73] 41. [„Dort“ am andern Ende, wo der Luftzug tropfend Ausgang findet. Treffendes, originelles Bild!]
- ↑ 46. Virgil erzählt im dritten Gesange der Aeneis, daß Aeneas, einen Zweig abbrechend, die Stimme des Polidorus vernimmt. Hierauf ist schon V. 21 hingedeutet. Virgil hat den Dichter V. 28 angereizt, einen Zweig von diesem Baume zu brechen, wie es nach V. 49 scheint, nicht ohne die etwas eigennützige Absicht, seinem Liede bei dem Dichter Glauben zu verschaffen. Er fühlt jetzt, daß er damit Unrecht gethan hat, da es nicht löblich ist, dem Unglücklichen aus selbstsüchtigen Absichten noch größeres Leiden zu erregen. Deshalb bekennt er mit echter Menschlichkeit seinen Fehler und seine Reue, indem er zugleich dem verletzten Geiste Vergütung des ihm zugefügten Schadens durch die Erneuerung seines Andenkens in der Oberwelt verspricht.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: ironischen
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 72 bzw. 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_072073.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)