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Jetzt sieht er, daß, nach gutem Zweck gewogen,

Die That, ob sie in Trümmern euch begräbt,
Ihm dennoch nichts von seiner Wonn’ entzogen.

61
Sieh Wilhelm, wo der Bogen abwärts strebt,[1]

Ob dessen Tod des Landes Bürger weinen,
Das klagt, weil Karl und Friederich jetzt lebt.

64
Jetzt sieht er, Gott liebt zärtlich, als die Seinen,

Gerechte Fürsten, und, in Glanz erhellt,
Läßt er dies hier in frohem Blitz erscheinen.

67
Wer glaubt’ es in der wahnbefangnen Welt,

Daß Ripheus, den Trojaner, hier im Runde[2]
Des fünften Lichtes heil’ger Glanz enthält?

70
Jetzt hat er wohl von Gottes Gnade Kunde

Und siehet mehr, als eurer Welt sich zeigt,
Dringt auch sein Blick nicht bis zum tiefsten Grunde.“ – –[3]

73
Gleichwie die Lerche in die Lüfte steigt,

Erst singend flattert, aber dann, zufrieden,
Vom letzten süßen Ton gesättigt, schweigt:

76
So schien mir jenes Bild, durch das hienieden[4]

Der Abdruck ew’ger Wonnen zu uns spricht,
In deren Suchen jedem Ding beschieden


  1. [61–63. Wilhelm der Gute von Neapel und Sizilien starb 1189. Jetzt stand das erstere Reich unter Karl II., das letztere unter Friedrich, Peters Sohn, von welchen beiden am Ende des vorigen Gesanges die Rede war.]
  2. [68. Von diesem Ripheus ist nur das eine, für D. gewichtige, Wort Virgils aufbewahrt: justissimus unus Qui fuit in Teucris et servantissimus aequi. Von seiner, sowie Trajans, besonderer Bedeutung, als seliger Heiden, ist schon zu Ges. 19. V. 33, 2) gehandelt worden.]
  3. [72. Auch das Wissen der Seligen, wiewohl stets sich vertiefend, bleibt ein endlich begrenztes.]
  4. [76–79. Die ewige Wonne der Seligen, zugleich das Wohlgefallen Gottes, ist das Gottesreich; dessen Abdruck hienieden die Weltmonarchie; deren Bild oder Symbol der Adler. Alles eingeborne Sehnen der Creatur geht auf jenes ewige, himmlische Urbild und dessen zeitliches, idisches Abbild; und im mehr oder weniger bewußten Anstreben des Einen durch das Andere erfüllt sich erst das wahre Sein (qual ’è) die individuelle Bestimmung, Vollkommenheit und Seligkeit jedes Dings. – [522] Ein Blitz des Genius, diese Stelle, in der uns in den kürzesten, markigsten Worten die lebensvollste Auffassung des Verhältnisses zwischen Gott und Welt und daraus die tiefsinnigste Begründung eines hochidealen Weltbeglückungssystems entgegentritt! – Dem Inhalt nach ist zu vergleichen einerseits Fegf. 32, 52–69, Parad. 6 über die Weltmonarchie, andrerseits Parad. 1, 1–3, 103–120 und 5, 10 ff., 3, 82 ff. und 4, 34 ff. über Gott, Welt und Stufen der Seligkeit.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 521. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_521.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)