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Der Andre zeigt’ wie Glanz der Cherubinen[1]
Die Weisheit dort im ird’schen Aufenthalt.

40
Von Einem sprech’ ich, weil, wen man von ihnen

Auch preisen mag, man nie vom Andern schweigt,
Da Beide wirkten, einem Zweck zu dienen.

43
Beim Bach, der von Ubaldo’s Hügel steigt,[2]

Und dem Tupino, hebt sich, zwischen beiden,
Ein Berg, deß Abhang fruchtbar grün sich neigt.

46
Von ihm muß Hitz’ und Frost Perugia leiden,

Und hinter diesem Berg liegt Gualdo dicht,
Und mit Nocera fühlt’s des Joches Leiden.

49
Dort, wo sich seines Abhangs Jähe bricht,

Dort sah man einer Sonne Glanz entbrennen,
Gleich der am Ganges klar im hellsten Licht.[3]

52
Nicht möge man den Ort Ascesi nennen,

Denn wenig sagt, wer also ihn benannt;
Nein, was er war, giebt Orient zu erkennen.

55
Schon als der Glanz nicht fern dem Aufgang stand,[4]

  1. 38. Im Glanz der Cherubinen, der Engel, in welchen die himmlische Weisheit strahlt, [die Forschung, welcher Dominik zugewendet war.]
  2. 43. Hier ist die Lage von Assisi, des Geburtsorts des Heiligen, zwölf Miglien von Perugia entfernt, beschrieben. Der Berg, an welchem Assisi, vom Dichter Ascesi genannt, liegt, macht, daß wenn er mit Schnee bedeckt ist und der Wind von ihm herweht, Perugia durch Kälte, wenn aber die Sonnenstrahlen von ihm zurückprallen, durch Hitze leidet. Gualdo und Nocera waren der Stadt Perugia unterworfen und von ihr mit schweren Auflagen bedrückt.
  3. [51. Wörtlich: wie diese, die sichtbare Sonne, wenn sie im Sommer den Fluten des Ganges zu entsteigen scheint, d. h. so kräftig. Der Herausg. wollte jedennoch hier die verständlichere Wendung von Streckfuß nicht ändern.]
  4. [55. Die folgenden berühmte Verherrlichung des h. Franz ist historisch wohlbegründet. In der That war dieser Mann einer der wundersamsten, reinsten Gestalten der Kirche, wohl befähigt, „eine Sonne“ derselben zu werden (V. 50). Der Sohn eines reichen Kaufmanns Bernardone, warf er schon als Jüngling, zum Aerger seines Vaters, all’ irdisches Gut weg, gelobte sich ganz der Armuth, als seiner „Braut“ und setzte in Assisi vor dem Bischof sein Mönchs-Gelübde durch, 1206 (V. 55–63). Noch steht dort, von Overbeck bemalt, von einer riesigen Kirche überbaut, die kleine, uralte Portiuncula-Kapelle, welche der Ort seiner ersten Berufung und die Stätte der Stiftung seines Ordens ist. Diese und der, gleich nach seinem Tod begonnene, [463] prachtvolle Doppeldom (Ober- und Unter-Kirche), zeugen von den mächtigen Impulsen, welche aus der Begeisterung für ihn, wie auf das christliche Leben, so auch auf die kirchliche Kunst ausgingen. Der große Giotto wurde der eigentliche Franziskaner-Maler und schmückte die Unterkirche zu Assisi mit seinen herrlichsten Schöpfungen, worunter auch die Vermählung des heil. Franziskus mit der Armuth. Er war der Freund Dante’s, welcher ja selbst Franziskaner (Tertiarier-) Novize gewesen und der großartige Geist des Dichters weht durch jene epochemachenden Malereien. – Der spezifisch neue Ordensgedanke des heil. Franz war, den bisherigen Mönchsgelübden der Demuth und Keuschheit noch das der Armuth, und zwar in unerbittlich strenger Fassung, beizufügen. So wurde er der Stifter des ersten der beiden großen und einflußreichen „Bettelorden“.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_462.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)