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Erstanden aus dem Grabgewölb’, erschien;

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So uns ein Schatten – hinter uns, die Schaaren,

Dort ausgestreckt, betrachtend, ging er fort,[1]
Und ließ sich sprechend erst von uns gewahren.

13
„Gott geb’ euch Frieden, Brüder!“ war sein Wort,

Das plötzlich hin zu ihm uns Beide kehrte;
Und ziemend dankt’ ihm mein getreuer Hort

16
Und sprach: „Zu denen, so der Herr verklärte,

Versetz’ er dich, zu jenem sel’gen Chor,
Deß Frieden er auf ewig mir verwehrte.“[2]

19
Und Jener sprach: „Wenn Gott euch nicht erkor,

Wenn Er euch nicht berief, hinauf zu gehen,
Wer leitet’ euch die heil’ge Stieg’ empor?“

22
Virgil darauf: „Sieh hier die Zeichen stehen,[3]

Die diesem eingeprägt vom Engel sind,
Und daß er auserwählt ist, wirst du sehen.

25
Allein weil Sie, die unablässig spinnt,[4]

Ihm noch nicht ganz den Rocken abgesponnen,
Den Klotho anlegt, wenn ein Sein beginnt,

28
Hätt’ er, allein, die Höhe nie gewonnen,

Weil seine Seele, Schwester dir und mir,
Noch nicht nach unsrer Art zu sehn begonnen.

31
Drum bin ich aus dem Höllenschlunde hier,

Und meine Schule wies und weist ihm Alles,
Was sie gewähren kann der Wißbegier.[5]

34
Doch sprich, was schwankte so gewalt’gen Pralles

Vorhin der Berg? Was tönte bis zum Strand
Der allgemeine Ruf so lauten Schalles?“

37
Mein theurer Meister, also fragend, fand

So meiner Sehnsucht Oehr, daß mein Begehren,


  1. 11. 12. Der Schatten, jetzt von dem hier gebüßten Fehler gereinigt, betrachtet noch die Schatten, die dort am Boden liegen, d. h. er erwägt seinen nun abgelegten Fehler und dessen Wirkungen.
  2. 18. Weil Virgil, als Heide, nicht zum Paradies eingehen – weil die Vernunft allein nicht zum Höchsten gelangen kann.
  3. 22. Die P auf der Stirn.
  4. 25. Sie, Lachesis, die Parze.
  5. [33. Ueberall und immer der Hinweis auf die Bedeutung, aber auch Begrenzung der Vernunft, beziehungsweise der rechten staatskirchlichen Weltordnung! Vgl. 18, 46.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_315.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)