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Den stolzen Nacken jetzt der Erd’ entgegen,
So daß ich stets zu Boden blicken muß,

55
So würd’ ich nach ihm hin den Blick bewegen,

Zu sehn, ob ich ihn, der sich nicht genannt,
Erkenn’, und um sein Mitleid zu erregen.

58
Wilhelm Aldobrandeschi, der dem Land,[1]

Das ihn geboren, Ruhm und Ehre brachte,
Erzeugte mich und ist euch wohl bekannt.

61
Das alte Blut, der Ruhm der Ahnen, machte

So übermühtig mich und stolz und roh,
Daß ich nicht mehr der Mutter Aller dachte.

64
Und ich verachtete die Menschen so,

Daß ich drum starb, wie die Sanesen wissen
Und jedes Kind in Campagnatico.

67
Omberto bin ich; nicht nur mein Gewissen

Befleckt den Stolz, er hat auch Alle schier
Von meinem Stamm in’s Elend fortgerissen.

70
Bis ich dem Herrn genug that, ruht auf mir

Die schwere Last, und was ich dort im Leben
Nicht that, das thu’ ich bei den Todten hier.“

73
Ich horcht’ und ging gesenkten Haupts daneben,

Ein Andrer aber, unterm Steine, fing
Sich an zu winden, um den Blick zu heben.

76
Er sah, erkannt’ und nannte mich und hing,

Kaum fähig doch den Blick vom Grund zu trennen,
An mir, der ganz gebückt mit ihnen ging.[2]

79
„„Du, Odris!““ rief ich, froh ihn zu erkennen,[3]

„„Scheinst Gubbio’s Ruhm, der Ruhm der Kunst zu sein,[4]


  1. 58. Omberto, Graf von Santafiore, Sohn des Wilhelm Aldobrandeschi (im Originale benannt il gran Tosco), machte sich durch unerträglichen Hochmuth dem Volke von Siena so verhaßt, das er in Campagnatico, einem Orte der Maremma, zuletzt ermordet wurde.
  2. [78. Dante ist ebenfalls gebückt und gedemüthigt, V. 118. Er selbst macht die Läuterung an sich durch. S. Vorbem. zu Ges. 9.]
  3. 79. Oderisi aus Gubbio, ein berühmter Miniaturmaler, lebte zu des Dichters Zeit in Bologna, und war, nach Benvenuto d’Imola, so stolz auf seine Kunst, daß er alle Andern neben sich verachtete. Nicht ohne höhere Absicht ist wohl ein Miniaturmaler als Beispiel des Stolzes aufgestellt worden, der seine kleinen Bildchen für wichtig genug hielt, um ihm eine ausgezeichnete Stelle im unendlichen All zu sichern und ihm die Demuth entbehrlich zu machen.
  4. 80. 81. Im Original: die Kunst, welche man in Paris alluminiren [260] nennt. Diese Kunst bestand darin, mit Wasserfarben auf Elfenbein oder Pergament zu malen, indem man das Weiße zum Licht aufsparte. Reste der Kunst aus jener Zeit finden sich noch auf Urkunden und Manuscripten.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_259.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)