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Und Er: „Drob ist kein Unrecht mir geschehn,

Mußt’ Er auch öfters mich zurückeweisen,
Der mit sich fortnimmt wann er will und wen.

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Denn sein Will’ ist nur der des Ewig-Weisen;

Und seit drei Monden hat er gern gewährt,
Wenn irgend wer verlangt hat, mitzureisen.

100
Auch mich, der ich mich zu dem Strand gekehrt,

Wo salzig wird der Tiber süße Welle,
Empfing er liebevoll, da ich’s begehrt.

103
Jetzt schwebt er wieder hin zu jener Stelle,[1]

Wo er vereint mit freudigem Empfang
Die, so nicht Sünde stürzt zur Nacht der Hölle.“

106
Und ich: „„Hat dir nicht jenen Liebes-Sang,

Den du geübt, ein neu Gesetz entrissen,
Der öfters mir gestillt des Herzens Drang,

109
So laß mich jetzt nicht seinen Trost vermissen,

Denn meine Seele, die der Leib umflicht,
Schwebt, da sie hier erscheint, in Kümmernissen.““

112
Die Liebe, die zu mir im Herzen spricht –“[2]

Begann er jetzt, und ach, die süße Weise
Verklingt noch jetzt in meinem Innern nicht.

115
Mein Herr und ich, wir standen still im Kreise[3]

Der Andern dort, und Alle so beglückt,
Als kennten wir kein andres Ziel der Reise,

118
Nur seinen Tönen horchend, hochentzückt.

Da sieh bei uns den ehrenhaften Alten:[4]
„Was, träge Geister, ist’s, das euch berückt?

121
Nachlässige, so lang’ euch aufzuhalten!

  1. 103. Den Ausfluß der Tiber hält der Dichter für den Ort, wo die zur Seligkeit bestimmten Seelen eingeschifft werden, um sich zuvörderst im Fegefeuer zu läutern. Die Verdammten dagegen stürzen unmittelbar nach dem Tode zu ihrem Straforte hinab. Hiermit ist die Vermittelung der Kirche (Rom am Tiber) zwischen Gott und den zur Seligkeit bestimmten Seelen angedeutet.
  2. 112. Die Liebe etc. Amor, che nella mente mi ragiona – der Anfang einer wunderschönen Canzone des Dante.
  3. [115 ff. Eine der schönsten Stellen über Musik, wetteifernd mit dem berühmten Lied im 3. Act von Shakespeare’s Heinrich VIII.]
  4. 119. Den ehrenhaften Alten. Den Cato.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_211.jpg&oldid=- (Version vom 6.11.2018)