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16
Erschuf vor mir der Augen Wonne neu,

Sobald ich jetzt der todten Luft entklommen,
Die Aug’ und Brust getrübt in Nacht und Scheu.

19
Der schöne Stern, der Lieb’ erregt, entglommen[1]

Im Osten, hatt’ in Lächeln ihn verklärt,
Die Fisch’ umschleiernd, die mit ihm gekommen.

22
Dann rechts, des Süden’s Pole zugekehrt,[2]

Erblickt’ ich eines Viergestirnes Schimmer,

Deß Anschaun nur dem ersten Paar gewährt.
25
Der Himmel schien entzückt durch sein Geflimmer.

O du verwaistes Land, du öder Nord,
Du siehst den Glanz der schönen Lichter nimmer!

28
Als ich darauf vom Viergestirne fort[3]

Ein wenig hin zum andern Pole sahe,


  1. 19. Im Anfange des Frühlings tritt die Sonne in das Zeichen des Widders. Diesem voraus geht das Zeichen der Fische, in welchem jetzt die der Sonne vorausgehende Venus steht, durch ihr stärkeres Licht das Licht jenes Gestirns verdunkelnd. Dieser Stand der Sterne deutet daher auf den herannahenden Morgen. [Den dritten der Wanderung. – Man bemerke auch: „der Stern der (göttlichen) Liebe leuchtet dem Ankömmling über dem Berge der Läuterung.“ Notter.]
  2. 22–24. [Der Dichter steht ursprünglich gegen Osten gewendet. – Das Viergestirn, das nur Adam und Eva sahen, kann nur symbolisch verstanden werden (ob auch Dante das südliche Gestirn des Kreuzes, welches man im Norden nicht sieht, gekannt haben mag) und sich auf die vier bürgerlichen Tugenden der Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigkeit beziehen, von welchen der Dichter hiermit sagen will, daß sie von der jetzigen Welt verschwunden seien.]
  3. [28–31. Er wendet sich wieder links zum Nordpol zurück, (wo beim anbrechenden Tag der Wagen schon nicht mehr sichtbar war) und erblickt vor sich den alten Cato von Utica, der um Rom’s Freiheit sich den Tod gab. Der Dichter sieht hierin ein, wenn auch irregeleitetes Ringen nach Freiheit des Geistes und erhebt ihn darum aus der Hölle hierher, als ein Vorbild jener vier so selten gewordenen Tugenden (V. 37) und eine Allegorie der beginnenden sittlichen Läuterung. Daher ist er Thorwart des Fegefeuers. Dante zeigt hier ein, für seine Zeit feines und gerechtes Urtheil über das Heidenthum, indem er einerseits für Cato einen anderen Maßstab anlegt, als er es bei einem Christen thun würde – andererseits aber auch denselben erst an die Pforte des Fegefeuers, in den Anfang einer höheren sittlichen Erneuerung versetzt, welch’ letztere für Dante einzig in der christlichen Rechtfertigung sich vollendet.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_202.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)