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Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821].
In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte, Hamburg 1967.

nicht mit Lesen oder müßigem Herumstreichen, sondern am liebsten mit Versuchen in allerlei mechanischen Arbeiten beschäftiget. Da er geraume Zeit bei einem Schneider und ein anderesmal bei einem Buchbinder im Quartier gewesen, habe er von diesen verschiedene Vortheile abgesehen und selbige nachher durch eigenes Nachdenken zu vervollkommnen gesucht. Besonders habe er es in der Schneiderarbeit zu einiger Fertigkeit gebracht und eine Zeitlang bei einem Commißschneider ausgeholfen.

Nach seiner Zurückkunft hieher habe er sich durch Bedienungen von Fremden, Haarschneiden, Kleiderausbessern und Papparbeiten nothdürftig genährt und namentlich in letzterem Artikel für den Buchhändler Hrn. Klein und für einen Juden gearbeitet.

In der letzten Zeit sey es ihm sehr übel ergangen, weil es ihm öfters an Arbeit gefehlt habe und ihm selbst die Versuche, als Handlanger bei den Maurern oder auf der Ziegelscheune etwas zu verdienen, fehlgeschlagen seyen. Er sey daher, weil er kein Schlafgeld bezahlen können, oft acht Tage lang des Nachts unter freiem Himmel geblieben, ohne sich jedoch, weil er das Bivouakiren gewohnt sey, viel daraus zu machen, sey auch am Tage mißmuthig und ohne zu wissen, was er anfangen solle, im Felde und an den einsamsten Orten umhergestrichen, bis ihn der Hunger dann und wann in die Stadt getrieben habe, um sich von seinem Stiefvater oder seinem Stiefbruder etwas zu essen geben zu lassen, worauf er immer wieder aufs Feld zurückgekehrt sey. Unterstützungen und Almosen habe er unter andern von Herrn Förster auf der Grabengasse und von Herrn Lacarriere erhalten, welcher letztere ihm ein an ihn gerichtetes Bittschreiben wieder zurückgegeben habe.

Den Umgang mit dem weiblichen Geschlecht habe er zwar nicht sehr gesucht, aber auch die Gelegenheiten dazu nicht verschmäht, sich jedoch immer mehr zu einer Person gehalten, obwohl es ihm dabei ziemlich gleichgültig gewesen sey, ob diese es mit mehrern zu thun gehabt, oder nicht.

Sein Umgang mit der Woostin schreibe sich von der Zeit her, wo er bei ihrer Mutter gewohnt habe, und es sey, obgleich ein ausdrückliches Versprechen nicht Statt gefunden, dennoch ihr beiderseitiger Wille gewesen, sich zu ehelichen, wozu es aber, weil es mit ihm immer nicht fort gewollt habe, nicht gekommen sey. Unterstützungen habe er von der Woostin nicht erhalten, weil sie selbst nicht viel gehabt habe, und der fleischliche Umgang mit ihr sey dadurch, daß sie sich seit einiger Zeit auch mit einem andern eingelassen, obwohl es deshalb zwischen ihnen zu Streitigkeiten und Thätlichkeiten gekommen sey, dennoch nicht unterblieben, da sie ihm nicht nur den Beyschlaf niemals verweigert, sondern ihn sogar oftmals deshalb bestellt habe. Dieses sey auch am Tage der That, nachdem er gerade mehrere Nächte unter freiem Himmel

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Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821]. In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte. Hamburg: Wegner, 1967, Seite 543. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Clarus-Gutachten_543.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)