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Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821].
In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte, Hamburg 1967.

Diebstahls, auf sechs Monate unter die Sträflinge versetzt gewesen sei, daß man aber weder von seinen angeblichen Erscheinungen etwas erfahren, noch irgend etwas Auffallendes in seinen Reden und Handlungen, oder gar Zeichen von Geistesverwirrung oder von Anlage dazu, an ihm bemerkt habe. Insonderheit gibt die Wienbergin, deren mit Woyzeck erzeugtes Kind sich noch am Leben befindet, an, daß sie mit seinem Benehmen immer sehr zufrieden gewesen sei, daß er sich aber theils durch Eifersucht, theils durch Trunkenheit oft zu Härte und zu Thätlichkeit gegen sie habe verleiten lassen. Uebrigens gab sie aus dem Gedächtniß den Inhalt eines verlornen Briefes von ihm zu Protokoll, dessen zum Theil räthselhafte Ausdrücke sie aus seiner Eifersucht und Trunkfälligkeit erklärlich findet. (3. Apr.)

Die medizinische Fakultät allhier fand kein Bedenken in ihrem hiernächst unterm 17. April eingegangenen Responsum das von mir abgegebene Gutachten in seinem ganzen Umfange zu billigen und zu bestätigen, wobei sie sich zugleich aus Gründen gegen die Zulässigkeit eines zweiten Arztes bei Untersuchung zweifelhafter Seelenzustände erklärt, und die von mir aufgestellten Grundsätze zur Bestimmung der Fälle, in denen allein ein blinder Antrieb zu verbrecherischen Handlungen anzunehmen sei, geeignet findet, bei Untersuchung und Bestimmung ähnlicher Fälle als Norm zu dienen[1].

Nachdem nun durch ein Rescript vom 12. Juli die Vollstreckung des Urtheils anbefohlen und dieses dem Inquisiten am 30. Juli eröffnet worden war, so erklärte derselbe, daß er sich dabei beruhige, da er sich stets vorgestellt habe, daß es nicht anders kommen könne. Der hierauf am 3. Aug. erfolgte Antrag des Vertheidigers, dem Inquisiten eine nochmalige Vertheidigung zu gestatten, weil die über seinen Gemüthszustand angestellte Untersuchung nur bei einer Vertheidigung habe benutzt werden können und selbige, von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, als die erste anzusehen sei, wurde durch ein Rescript vom 10. Aug. abgewiesen, die Vollstreckung der Todesstrafe nochmals anbefohlen und nunmehr endlich der 27. Aug. zum Tage der Hinrichtung angesetzt.


Nachtrag
aus einem Schreiben des Herrn Hofrath Clarus an den Herausgeber


Zu Bestätigung meines Urtheils, daß der Verbrecher zurechnungsfähig, aber im hohen Grade kalt und gefühllos gewesen sei, kann nachträglich noch folgendes dienen:


  1. Ich würde diesen, eben so wie alle übrige Ausdrücke des Beifalls, ganz mit Stillschweigen übergangen haben, wenn nicht die Sanktion der von mir aufgestellten Grundsätze durch ein Medicinalcollegium bei Anwendung derselben vor Gericht Bemerkung verdiente.
Empfohlene Zitierweise:
Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821]. In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte. Hamburg: Wegner, 1967, Seite 536. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Clarus-Gutachten_536.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)