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und im Athletischen, in einer Nachahmung des Antiken, nach dem Vorgang Michel Angelo’s. Dieser berühmte Maler und Bildhauer formte die in der römischen Kirche Maria sopra Minerva stehende Statue des Erlösers als christlichen Herkules mit kräftigster Musculatur. Aber dieses Extrem der Körperstärke ziemt dem Heiland eben so wenig, als das andere Extrem der ausgehungerten Magerkeit, der ausgehöhlte Bauch, die zählbaren Rippen so vieler Crucifixe. Die Künstler suchen andererseits ihr Verdienst im Ausdruck der Seelenschönheit, der zartesten Milde. Aber sie fallen damit nur zu oft in eine sentimentale Schwächlichkeit, und weil man die Absicht merkt, erscheinen solche Christusbilder sogar in widerlicher Koketterie. Hierin sind die neuern französischen Maler am weitesten gegangen, von denen sich einige sogar bemüht haben, die jüdische Nationalphysiognomie im Heiland in einer Weise modern veredelt auszudrücken, wie ein eleganter Judenjüngling in einem Pariser Salon voll Selbstgenügsamkeit blinzelt.

Den deutschen Künstlern ist es gelungen, wenigstens viel von der deutschen Ehrlichkeit in ihre Christusbilder hineinzutragen, wenn auch der genialere Ausdruck göttlicher Hoheit meist ganz fehlt und auch hin und wieder Koketterie sich einmischt. Am meisten Anerkennung verdienen die Spanier, weil es ihren Künstlern immer sichtbar heiliger Ernst war und man ihnen ansieht, ihr Glaube war auch da stark, wo ihre Hand schwach war. Es ist merkwürdig, dass diese spanischen Künstler mehr die Schönheit der Seele als die des Körpers aussuchen und oft die letztere zu sehr vernachlässigen, was bei den Italienern umgekehrt der Fall ist.

Ein Hauptfehler, den sich selbst sehr fromme Künstler haben zu Schulden kommen lassen, ist das Verlassen des alten ehrwürdigen Typus, um einen Heiland nach eigner Phantasie oder gar ein Portrait darzustellen. Der altgriechische Typus der Abgarus- und Veronicabilder ist der historisch echte und zugleich der am meisten der Würde des Gegenstandes entsprechende, den die Künstler nicht zu ändern,

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Erster Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_I_179.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)