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Als Volkssage lebt die Legende noch in den deutschen Alpen. Der ewige Jude soll einmal über das Mattenhorn in Wallis gekommen seyn in einer Zeit, in der die Alpen noch bis zum Gipfel grün, fruchtbar und bewohnt waren, und er soll gesagt haben, er werde noch zweimal denselben Weg kommen, das drittemal aber werde die ganze Gegend verödet und mit Eis bedeckt seyn. Grimm, deutsche Sagen Nr. 343. Vgl. Weber, Tirol III. 381. Vogt, Im Gebirg und auf den Gletschern S. 41.

Eine beträchtliche Menge neuer Dichter hat den ewigen Juden in Romanzen, Romanen und Trauerspielen bearbeitet, aber durchgängig im Widerspruch mit der ursprünglichen Legende und in einer entschieden antichristlichen Tendenz. Sie machen nämlich einen edeln Unglücklichen, einen ungerecht Verfolgten, einen Träger des beliebten Weltschmerzes, eine Personification der unterdrückten Revolution aus ihm, und lassen ihn mit heldenmässigen Phrasen der tief verhassten göttlichen und menschlichen Autorität trotzen und der Menschheit die endliche Emancipation verkünden. In Auerbachs „Spinoza“ erscheint der ewige Jude diesem Philosophen in dem Augenblicke, in welchem ihn die Juden, seine alten Glaubensgenossen, ausgestossen haben und auch die Geliebte ihn verrathen hat. Tröstend verkündet ihm Ahasver, er habe die alten Glaubensbande seines Volkes gesprengt und sey der wahre jüdische Messias. – Noch unsinniger ist die tiefsinnige alte Sage missdeutet in „dem neuen Ahasver“ von Ludwig Köhler 1841. Hier heisst es, Ahasver soll nicht eher sterben, bis die Freiheit auf Erden herrschen werde. Nun herrscht aber leider das Christenthum, bei dem keine Freiheit möglich ist, und der wahre jüdische Messias, Börne, „der Heiland der Freiheit,“ musste sterben. Auf seinem Grabe in Paris jammert der ewige Jude, der nicht sterben kann, dass jener sterben musste, und dass die Unfreiheit ihn überlebt. Wüthender Christenhass glüht durch das ganze Gedicht, das zu den kläglichsten Ausgeburten des franzosentollen und jüdelnden Jungdeutschlands gehört. Wie viel

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Erster Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_I_044.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)