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Indem der Satan den Gott im Gottmenschen anrief, handelte es sich von dessen geistigem, hoch über das Irdische erhabenen Wesen, und der Vorgang konnte im Geisterreich vor sich gehen, ohne darum weniger Faktum zu seyn.

Der Vorgang ist von hoher Wichtigkeit für die Lehre von der doppelten Natur Christi. Erst sprach Satan die menschliche Natur in ihrer Schwäche und Bedürftigkeit an, dann die göttliche Natur in ihrer Allmacht, beide nach einander versuchend, sofern ihm beide in ihrer wunderbaren Verbindung eine Seite darboten, wo die Verführung anschlagen zu können schien.

Der Vorgang durfte in der Erlösungsgeschichte auf keine Weise fehlen, sofern sie sich unmittelbar an die Geschichte des Sündenfalls anschliesst. Er ist der Gegensatz gegen die Versuchung der ersten Eltern. Die Menschwerdung bedingt auch wieder die Versuchungsfähigkeit. Es ist undenkbar, dass Satan darauf nicht seinen Plan gebaut haben sollte. Mit Gott selbst konnte er nicht verkehren, aber die Gottheit trat ihm wieder menschlich nahe in Christo. Die Sündenlosigkeit Jesu war nicht blos a priori vorhanden, sie musste sich erst im Leiden und Dulden bewähren, und jene Versuchung des Teufels gehörte dazu wesentlich. Hätte der Teufel sich nicht bemüht, so würde dadurch von vorn herein anerkannt, dass die menschliche Natur Jesu blosser Schein, nicht Wirklichkeit gewesen sey.

Die Versuchung wäre aber einseitig gewesen, wenn sie sich nur an diese menschliche Natur des Erlösers gewendet hätte und nicht auch an die göttliche. Die Führung auf den Berg, um den alle Reiche der Welt sich lagern, hat den tiefsten Sinn und ist noch wichtiger als die Brodtversuchung. Sie ist die eigentliche Folie des heiligsten Mysteriums von der Menschwerdung. Wie im ersten Act der Versuchung Christus dem Adam entgegensteht, so im zweiten dem Lucifer selbst. Hätte Lucifer als Gottsohn gehandelt, wie Christus, so wäre die Menschwerdung nicht nothwendig geworden. Da er nicht so handelte, musste Christus kommen. Ihre

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 521. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_521.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2023)