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Wort.“ Sofern nun Jesus sich durch das Leiden der irdischen Natur nicht ungeduldig machen liess, versuchte ihn Satan auf andere Weise. Wenn du Gottes Sohn bist, gab er ihm zu verstehen, so kannst du dich auch an seiner Statt im Allerheiligsten des Tempels offenbaren und dich von den Engeln bedienen lassen. Um ihm dies recht nahe zu legen, führte er ihn auf die Zinne des Tempels von Jerusalem. Aber Jesus wollte nicht wie Lucifer sich an Gottes Stelle setzen und erwiderte: „Du sollst Gott, deinen Herrn, nicht versuchen.“ Da führte ihn Satan auf einen hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit, und wollte sie ihm geben, wenn er niederfiele und ihn, den Teufel, anbete. Das heisst nun, Jesus hätte handeln sollen, wie einst Lucifer als erstgeborner Engel handelte, und die Macht als Sohn Gottes benützen zur Usurpation der Weltherrschaft im Grossen, wobei unter den Reichen der Welt nicht blos irdische, sondern das ganze Universum zu verstehen ist. Jesus aber erwiderte: „Hebe dich von mir, Satan! denn es steht geschrieben: Du sollst Gott allein dienen.“

Der Teufel konnte die Demuth und Entsagung des Gottmenschen nicht begreifen. Sobald also die Leiden desselben begannen, eilte er herbei, ihn zu berücken und ihm vorzustellen, wie es ja nur eines Entschlusses von seiner Seite bedürfe, sich über alle diese irdischen Leiden hinwegzusetzen. Er hoffte sogar, an ihm einen mächtigen Bundesgenossen wider Gott zu erhalten. Dies erscheint so natürlich im Wesen des Teufels begründet, dass man die Sache als Faktum nehmen oder den Teufel überhaupt wegleugnen muss. Die Rationalisten, z. B. Paulus, erklären schlechtweg, Jesus habe sich den ganzen Vorgang blos eingebildet. Olshausen lässt ihn als Faktum, jedoch nur als ein inneres, gelten. Das ist einerlei, wenn nur das Faktum feststeht. Denn allerdings existirt der Berg, von welchem aus Jesus alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit sehen konnte, nicht in der Wirklichkeit, und es bedurfte für ihn auch nur des Gedankens, sich in das Centrum der Weltherrlichkeit zu versetzen.

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 520. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_520.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2023)