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Vor hundert Jahren schrieb der Schweizer Bodmer sein grosses Epos „die Noachide“, eine sehr wässerige Nachahmung des Messias von Klopstock, worin endlos langweilig alle langgeschnäbelten, kurzgeschnäbelten, breitgeschnäbelten, spitzgeschnäbelten etc. Vögel verzeichnet sind, wie sie in die Arche spazieren. Ein neuer französischer Dichter, Alfred de Vigny, hat sich besser darauf verstanden, die Effecte zusammenzudrängen. Auch der deutsche Dichter Andreas Wasserburg, der 1834 in Mainz eine Sündfluth in poetischer Prosa herausgab, hat in der Ausmalung der Schreckensscenen, z. B. eines Löwen, der sich angstvoll zu den Menschen rettet, eine reiche Phantasie bewährt. Friedrich Schlegel besang die Freude der Errettung, das Opfer und den Dank Noahs (am Schluss des 10ten Bandes seiner Werke). Das ist schön und biblisch. Aber Salomon Gessner besang den Tod zweier unbekannten Liebenden in der Sündfluth, Semin und Semira. Solche sentimentale Abgeschmacktheiten hat man lange bewundert. Sie sind schriftwidrig. In der Sündfluth ist kein unschuldiges Liebespaar umgekommen. Da war Niemand rein, als die sich in die Arche gerettet hatten.

Unter den gemalten Sündfluthbildern muss man die, welche die Schrecken der empörten Natur malen, von denen unterscheiden, welche nur vorzugsweise die Todesangst der Menschen malen. Die letzteren sind bei weitem zahlreicher. Unter den ersteren stehen oben an die Bilder des Engländers Martin, der es liebt, die Natur im Grossen und in ihren Schrecken aufzufassen, bei der Schöpfung, beim Untergang Sodom und Gomorrha’s, Babels und Ninive’s, beim Weltgericht etc. Er malte den Abend vor der Sündfluth ungemein grossartig. Die Elemente selbst sind es, die hier miteinander ringen, die Menschen verlieren sich nur in kaum sichtbarem Ameisengewühl. Die Blitze zucken furchtbar, erlöschen aber gleichsam in dem allüberwiegenden Wasser, und dienen nur, die Schwärze der dichtherabhängenden Wolken zu beleuchten und den Anblick des allgemeinen Grabes noch schauerlicher zu machen. Dazwischen haben aber noch

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_427.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2023)