Seite:Christliche Symbolik (Menzel) II 399.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Frevel bestraft, in ihre Schranken zurückgewiesen und gebar hier, als Frucht ihrer unzeitigen Begierde, die Achamoth. Diese nun war der Geist, der über den Wassern schwebte, der Schöpfer, der aus dem Chaos die irdische Welt hervorrief, in sie übertragend ihren innern Zwiespalt und ihre heisse Begierde. Die ganze sichtbare Natur ist nach dieser Lehre das Produkt einer irregeleiteten Begierde. Die Welt hat keinen Vater, sondern nur eine Mutter. Nicht ein männlicher Gott, sondern nur ein Weib, das wieder nur von einem Weibe ohne Mann geboren ist, hat sie hervorgebracht. – Der Gnostiker Bardesanes erlöste die Achamoth, indem er sie mit Christo, dem in ihre Finsterniss von Gott hinabgesendeten Lichtprincip, vermählte und sogar im Crucifix mit ihm identificirte; denn in der Kirche des Bardesanes wurde ein gekreuzigter Hermaphrodit angebetet, auf der einen Seite Christus mit der Sonne, auf der andern ein Weib (Achamoth) mit dem Mond. – Die Ophiten liessen dieselbe Achamoth, des himmlischen Lichts unkundig, in die Finsterniss fallen und dort den Jaldabaoth als Herrn der niedern Welt gebären, der sechs andere Geister zeugt. Sie ist seitdem der Aether, er mit den sechs Geistern der Planetenhimmel. Auch hier tritt Christus erlösend ein. – Der Name Achamoth soll eine heftige Begierde, besonders der Schwangern, bedeuten. Solche Personificationen der ungöttlichsten Menschentriebe nun wollten die Gmostiker dem Christenthum als göttliche Wesen octroyiren.

In die Symbolik der Kirche hat sich nichts von diesen Irrlehren verirrt. Zwar kann man die naive Vorstellung des ersten Schöpfungstages auf Glasgemälden der mittelalterlichen Kirchen insoweit hieher beziehen, als Gott Vater vor der noch ungeschaffenen Welt als vor einer glänzend weissen leeren Kugel steht, die man als Spiegel seiner Contemplation dem Schleier der Maja ähnlich glauben könnte. Indess haben die ehrsamen altdeutschen Meister bei den Glaskugeln wohl nur an die erste Lichtwelt gedacht vor der Scheidung der Elemente und Gestirne.

Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_399.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)