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Volksbuch von der Sibyllen Weissagung ist sie charakterisirt durch den goldnen Schleier. Auf altfranzösischen Bildern trägt sie eine Laterne (als Verkünderin des Lichts). Didron, man. p. 152. Michel Angelo malte sie in der sixtinischen Kapelle als die älteste Sibylle auch sehr alt, doch immer noch als ein mächtiges hohes Weib. Dagegen malte sie Guercino auf dem Capitol voll Lieblichkeit. Eben so Guido Reni in Florenz (Kunstblatt 1836. S. 86.) und in England (Waagen II. 220.) Memling malte sie im flämischen Costüm zu Brügge. Viardot 313.

2. Die libysche Sibylle wurde nach dem alten Volksbuch im himmelblauen Kleide und mit einem Rosenkranz (um die Jungfrau Maria vorzubedeuten), desgleichen mit einer Fackel in der Hand gemalt (um Christum, das Licht der Welt, vorzubedeuten). Andere geben ihr einen Lorbeerkranz und eine zerrissene Kette (die Bande des alten Judenthums oder Heidenthums). Ihr Name ist Elissa, was auch der Name der karthagischen Dido ist. In der That ist sie auf diese grosse Königin, die zuerst das Licht der Bildung nach Libyen trug, zurückzuführen.

3. Die delphische Sibylle (Daphne, Herophyle, Manto, Artemis, Diana) soll Apollopriesterin gewesen seyn und nach Suidas noch vor Trojas Untergang gelebt haben. Unter dem Namen Herophyle sagte sie Trojas Ende vorher (Isidor, or. VIII. 8, also wie Cassandra). Diodor, IV. 68, macht sie zur Daphne, Apollo's Geliebten, oder Manto, Tochter des Tiresias. Clemens Alexandr., strom. I. p. 304, meldet von ihr, die Musen selbst hätten sie erzogen. Nach ihrem Tode sey ihr Gesicht in den Mond übergegangen und über ihrem Grabe seyen Kräuter gewachsen, von deren Genuss die Thiere gewisse Zeichen in den Eingeweiden empfingen, aus denen man orakle. Nach dem Volksbuch ist sie schwarz gekleidet und trägt ein Horn. Das scheint sich auf das Mondliche ihres Wesens zu beziehen.

Unter den Sibyllen Michel Angelo’s in der sixtinischen Kapelle ist die delphische die jüngste und schönste. Sie vertritt

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_368.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2023)