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Sibyllen von dem fernen, fremdartigen Reiche Gottes, das auf Erden erscheinen soll.

Sie stehen als Thürhüterinnen an der Schwelle des Christenthums, als Vertreterinnen der Ahnung des Christlichen im Heidenthum, neben den Propheten, als den Vertretern der christlichen Offenbarung im Judenthum. Schon der Geschlechtsunterschied drückt diesen Gegensatz sehr passend aus.

Die Heiden kannten schon längst Sibyllen, ohne alle Beziehung auf das Christenthum, als Seherinnen, Verkünderinnen der Zukunft. Man hat den Namen abgeleitet von Jabulah (Trägerin) oder Kibil (empfangen), und mit Kabbalah und der alten Göttin Kybele in Verbindung gebracht. Der Sinn ist immer: das Weibliche, welches göttliche Eingebungen empfängt und mittheilt.

Varro nahm (bei Lactantius, div. inst. I. 6.) zehn Sibyllen an: 1) die persische, 2) die libysche, 3) die delphische, 4) die kimmerische, 5) die erythräische, 6) die samische, 7) die cumanische, 8) die hellespontische, 9) die phrygische, 10) die tiburtinische. Dieselben Namen nennt auch der Scholiast des Plato (Phädrus, ed. Bekker II. 315.). Vgl. Pholius, quaest. amphil. 160. in Montfaucon, bibl. Coislin. p. 347. Mai, script. vet. nov. collect. I. praef. XXXVIII. Suidas kennt die zehn Sibyllen auch, s. v. Eben so der heilige Hieronymus, adv. Jovianum I. 14. — Aelian, var. hist. XII. 35, nimmt zwar nur vier Sibyllen an, sagt aber, Andre nehmen zehn an. — Pausanias, X. 12, lässt nur vier, Solinus, II. 10, nur drei, Martianus Capella, II. 159, nur zwei, Plinius, Naturg. VII. 33. XIII. 27, nur eine gelten. Was diese Sibyllen für das ältere Heidenthum geleistet, so wie die berühmten sibyllinischen Bücher in Rom, die alle Weisheit der Zukunft in sich enthielten und bei denen man in böser Zeit Rath zu holen pflegte, gehen uns hier nichts an.

Unter den zehn genannten Sibyllen aus rein römischer Erinnerung steht die tiburtinische in nächster Beziehung zum Christenthum und erlangte bei weitem den grössten Ruhm. Das ist die Sibylle, die, von Kaiser Augustus um die Zukunft

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_366.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2023)