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Auch Conrad von Megenberg im Buch der Natur 1482, Fol. 123, erwähnt das Menschengesicht der Schlange. Auf einigen Bildern dieser Art fällt auf, dass der Jungfrauenkopf der Schlange dem Kopf der Eva selber ähnlich ist. Sollte damit nicht Eva’s eigne Seele gemeint seyn, in die das Gift der Verführung eingeschlichen, und objectiv aufgefasst wird? Auf einem Bild des chron. Zwifalt. in der Stuttgarter Bibliothek p. 56 ist auch die Seele der sterbenden Maria nur als ein ihr ganz ähnlicher Kopf gemalt.

Eine andere Erklärung gab Münter (christl. Sinnbilder II. 46.), indem er das Menschengesicht der Schlange auf die zahlreichen und besonders im alexandrinischen Zeitalter der ersten christlichen Jahrhunderte weit verbreiteten Bilder des ägyptischen Agathodämon zurückführte. Dagegen aber lässt sich einwenden, dass jener Agathodämon, als Personification der Weltseele in Gestalt einer Schlange mit Menschen- oder auch Löwenkopf und Nimbus, immer nur eine gute Bedeutung hatte und folglich nicht auf die anerkannt böse Paradiesesschlange angewandt werden konnte. Nur ausserhalb der orthodoxen Kirche, bei den gnostischen Ophiten, wurde in ganz antibiblischer und widerchristlicher Weise das natürliche Verhältniss umgekehrt und die Schlange des Paradieses als Agathodämon aufgefasst, der vom höchsten Gott abgesandt worden sey, dem Adam die Erkenntniss zu gewähren, die ihm der niedere Erden- und Judengott untersagt habe. Vgl. Neander, gnostische Systeme S. 245. Darum beteten die Ophiten auch die Schlange förmlich an.

Die Schlange des Paradieses ist das Böse selbst, kann also nie eine gute Bedeutung haben. Eine nur äusserliche Verwandtschaft hat sie daher mit den in heidnischen Mythen vorkommenden Drachen und Lindwürmern, die unter dem Baume der Hesperiden, des goldnen Vliesses, unter den Lindenbäumen des deutschen Heldenbuchs etc. von frommen Helden erschlagen werden. Inzwischen hat das gar keinen innern Zusammenhang mit der christlichen Idee, heiligen Geschichte und Symbolik, und es ist vollkommen überflüssig,

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_327.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2022)