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vom jüngsten Gericht und dass er selbst unter den Verdammten sey. Da erwacht er höchst erschrocken, überlegt aber, wie wenig er bei seiner grossen Frömmigkeit eine solche Strafe verdient habe und zweifelt einen Augenblick an Gottes Gerechtigkeit. Da ersieht der Teufel sogleich seinen Vortheil und beschleicht ihn in Engelsgestalt, indem er ihm verkündet, in Neapel lebe ein gewisser Enrico, dessen Loos genau sein eignes seyn werde, an diesem also könne er sich spiegeln. Paulus begibt sich sofort nach Neapel und findet in jenem Enrico den gröbsten Sünder, wie er eben die wildesten Orgien feiert. Dieser muss verdammt werden, denkt Paulus, also auch ich, und wenn ich doch einmal verdammt seyn soll, wozu nützt mir das heilige Leben? Er geht nun zwar in die Wüste zurück, aber nicht mehr, um zu beten, sondern um sich an die Spitze einer Räuberbande zu stellen. Nun treibt er es so toll und noch toller wie Enrico. Der Letztere aber, von dem Gerichte verfolgt, hat sich in’s Meer gestürzt und schwimmt an das Ufer, wo Paulus mit seiner Bande haust. Paulus erkennt ihn und will sein alter ego prüfen, lässt ihn daher an einen Baum binden, Pfeile auf ihn zielen und ermahnt ihn unter den Schrecken des Todes zur Busse. Aber Enrico lästert Gott und trotzt dem Tode. Da bindet ihn Paulus wieder los und erzählt ihm seine Geschichte. Beide setzen ihr wildes Leben fort, aber Enrico hat mitten unter Lastern eine Tugend bewahrt, Treue und Ehrfurcht vor seinem Vater. Als er nun den Gerichten in die Hände fällt, und der Teufel ihn befreien will um seine Seele, wird er auf einmal fromm, übergibt seine Seele Gott, lässt sich hinrichten und wird von Gott begnadet. Paulus aber versinkt immer tiefer in Greuel, lässt sich auch durch eine Erscheinung Enrico’s nicht warnen und wird endlich vom Teufel geholt. v. Schack, span. Drama II. 603. Eine tiefsinnige Lehre: Der kleinste Fehler führt den Frömmsten in’s Verderben; die geringste Aeusserung einer guten Gesinnung kann auch den Lasterhaftesten noch retten.

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_259.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2023)