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Das Wunderbare aber an den Propheten ist ihre stete Hinweisung auf die Zukunft. Alle übereinstimmend verkündigen dem Volk Israel für seine Sünden die Gerichte Gottes, aber nach dieser Busse eine herrliche Wiedergeburt, den Sieg des Reiches Gottes und die Ausdehnung desselben über alle Völker auf Erden durch einen neuen König von Zion. Wie schon in den Büchern Mosis, der Richter und der Könige überall sich deutlich aussprach, dass Gott die Kinder Israel einem ihnen selbst verborgenen Ziele entgegenführe, und die Art, wie er ihre vorübergehenden älteren Generationen behandelte, sich nur durch diesen Hinblick auf die Zukunft erklären lässt, so verstärkt sich das Ahnungsvermögen der Propheten gleichsam in dem Maasse, in welchem sie dem Ziele näher rücken, und immer deutlicher und bestimmter wird der Messias verkündet, ja es werden die unzweideutigsten Kennzeichen desselben vorausgesagt. Er wird vom Stamme Davids seyn, er wird zu Bethlehem geboren werden, er wird einer Jungfrau Sohn seyn.

Den Propheten selbst war es mehr oder weniger unbewusst, dass der Messias, den sie verkündeten, weit über ihre altjüdische Vorstellungsweise hinausreichen würde. Sie dachten sich einen König Juda’s, der, noch weiser und mächtiger als Salomo, alle Reiche der Welt unter seinen Scepter vereinigen würde. Sie dachten noch nicht an ein geistiges Reich, wie es Christus stiftete. In demselben Irrthum waren auch später noch die Apostel selbst befangen.

Aber das ist gerade das Erhabene der heiligen Schrift, dass sie Gottes Führungen enthüllt, wie sie sich nach und nach in ihrem gesammten Verlauf erkennen lassen, ohne dass die jedesmaligen Propheten, deren sich Gott zu seinen Absichten bedient, selber wissen, wozu sie gebraucht werden; und dass die Absicht Gottes immer eine viel grossartigere ist, als selbst die besten seiner Diener begreifen. Denn wie ärmlich würde sich der Messias, den sie als weltbeherrschenden Judenkönig sich dachten, neben dem wahren Messias ausnehmen, dessen Reich nicht von dieser Welt ist? Und wie unmöglich würde

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_244.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2023)