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Propheten.

Prophet heisst wörtlich interpres, Dolmetscher, Verkündiger der göttlichen Befehle. Samuel hatte eine Schule derselben gegründet, Knaben wurden von Jugend auf zum Dienste Gottes erzogen, und unter ihnen wählte Gott sich aus, welchen er würdigen wollte, seine Befehle auszurichten. Aber auch ausserhalb dieser Schule suchte Gott seine Propheten, wie bisher. Amos z. B. war ein Hirt, und kein gelehrter Prophetenschüler.

Die Prophetenschule erscheint immer auf’s Innigste verbunden mit dem Hohenpriesterthum, so oft das Priesterthum selbst seines Berufes sich bewusst ist, wie unter Samuel, Ahia, Jojada. Wo aber das Priesterthum gesunken ist und Baalsdienst herrscht, steht der Prophet allein. Ein Gegensatz zwischen Propheten und Priester, wie später zwischen Christus und Pharisäern, findet sich damals noch nicht. Der Prophet steht immer den Priestern zur Seite oder für dieselben einerseits dem fremden Baalsdienst, andrerseits den bösen Königen gegenüber.

Die Propheten stellen das Gewissen des Volkes dar, dem die Gebote Gottes dann am lebhaftesten vorschweben, wenn sie am frechsten übertreten werden. Wo Fürst, Volk und entartete Priester im Uebermuth des Glücks von Gott abfallen, oder in der Noth verzagen, da treten die Propheten auf und ermahnen hier zur Reue, Busse und Besserung, dort zur Fassung, zur frohen Hoffnung. Wie die Zunge an der Waage, zeigen sie das Rechte an, ob das Volk auf die Seite des Trotzes oder des Verzagens neige. Immer stellen sie das Gleichgewicht her.

Die Macht der Wahrheit, die sich in ihnen ausspricht, wird noch erhöht durch ihre persönliche Demuth und Bescheidenheit. In völliger Anspruchslosigkeit, ja mit Aufopferung sagen sie die Wahrheit, und setzen sich dadurch der Verfolgung, zuweilen sogar dem Tode aus.

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_243.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2023)