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I. 64. Der Commandant von Grosswardein hatte ein Töchterlein, Therese, die stand früh auf und pflückte Blumen in ihres Vaters Garten. Da sie die Blumen so schön im Thaue glänzen sah, gedachte sie: „Wer mag wohl der Blumen Meister seyn, der sie so schön hat aus der Erde wachsen lassen? ich hab’ ihn so lieb, dürft’ ich ihn einmal schauen!“ Ihr Vater aber verlobte sie an einen vornehmen Edelmann, worüber sie sehr betrübt war. Da kam, als sie wieder im Garten war, Jesus zu ihr und steckte einen Ring an ihre Hand und sagte: „Du sollst meine Braut seyn.“ Die Jungfrau wurde roth vor Freude, brach eine Rose ab und gab sie ihrem himmlischen Bräutigam. Er aber führte sie an der Hand und sprach: „Ich will dir nun auch meines Vaters Garten zeigen.“ Und er führte sie in’s Paradies und zeigte ihr, wie viele tausend schönere Blumen dort blühten und die Vögel lieblich von den Bäumen sangen. Voller Freude ging sie von Blume zu Blume und die Zeit ward ihr nicht lang. Da sagte Jesus zu ihr: „Komm jetzt, denn ich will dich wieder heimführen.“ Er begleitete sie bis vor die Stadt und schied von ihr. Als sie an’s Thor gekommen war, hielten sie die Wächter auf, und frugen, wer sie wäre? Sie sagte, sie sey des Commandanten Tochter. Die Wächter aber sagten: „Der Commandant hat keine Tochter.“ Als sie vor die Herren der Stadt gebracht wurde, sagte sie, dass sie vor zwei Stunden erst herausgegangen wäre; aber Niemand kannte sie, und endlich fand man in einer Schrift, dass vor hundert und zwanzig Jahren eine Braut, des damaligen Commandanten Tochter, verloren gegangen sey. Als die Jungfrau dies hörte, ward sie bleich, wollte nicht Speise noch Trank mehr nehmen, als allein das heilige Sakrament, und als ihr der Priester dasselbe gereicht, verschied sie. Büsching, Volkssagen S. 163. Bechstein erzählt im Sagenschatz des Thüringerlandes III. 182. dieselbe Sage von einer Braut zu Benzhausen in Thüringen.

Nahe verwandt damit ist das schöne Volkslied von „des Sultans Töchterlein“ im Wunderhorn I. 15, etwas ausgedehnter

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_195.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2023)