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Rücksicht vermied. Er kam daher nur heimlich und bei Nacht mit Jesus zusammen, um sich über das Verhältniss seiner Mission zum bisherigen mosaischen Gesetze belehren zu lassen. Dieses Gespräch bringt Joh. 3. Das Resultat aber ist, dass das Gesetz nur negativ wirkt, strafend die Sünde, abwehrend das Böse, während der Messias positiv das Gute bringt und dem Menschen ein neues Herz gibt. Ausdrücklich sagt hier Jesus: er sey nicht gekommen, die Welt zu richten (was schon der alte Jehovah gethan), sondern dass die Welt durch ihn selig werde. Wer an ihn glaube, der werde nicht gerichtet, wer nicht an ihn glaube, der sey schon gerichtet. Der Gegensatz des Christenthums zum Judenthum ist hier auf's Schärfste aufgefasst.

Nicodemus wird in einer Erzählung von Wessenberg (Nicodemus, 2te Aufl. 1846) hauptsächlich in dem Sinne gerechtfertigt, sofern man ihm vorgeworfen hat, er habe doch zu wenig Muth bewiesen, indem er nur heimlich zu Christo gekommen sey und sich nicht offen zu ihm bekannt habe. Er sagt, Nicodemus habe auf diese Weise der christlichen Sache mehr gedient, als wenn er offen aufgetreten wäre, weil er sich dadurch der Mittel seines Einwirkens beraubt hätte. Kein Bruder solle über den Andern richten, sondern an den Werken soll man sie erkennen. — Das ist wohl wahr. Inzwischen wirft es doch einen starken Schatten auf die Pharisäer und Schriftgelehrten, dass der einzige Mann unter ihnen, der sich dem Christenthum ergibt, so zag und vorsichtig ist. Wir sahen das alte Prophetenthum vertreten durch Johannes den Täufer in kühner, grossartiger Freiheit. Das Pharisäerthum hat doch etwas an sich, was ihm eine solche Erhebung nie erlaubt. Wir sahen in Matthäus einen verachteten Zöllner, der dem Herrn am hellen Tage folgte und der erste Evangelist wurde. Nicodemus, geistig viel höher stehend und nicht minder frommer Anhänger des Herrn, ist doch noch zu sehr in die Falten seines vornehmen Amtsgewandes gewickelt, um uns so frei zu erscheinen und den Christen brüderlich anzusprechen.

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_157.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2023)