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Maria’s nicht ordinärer denken, wie Andrea del Sarto, der berühmte Italiener, der noch einer frömmern Zeit angehörte und doch nirgends die Mutter Gottes, sondern überall nur eine gemeine, wenn auch immerhin hübsche und zärtliche Mutter gemalt hat. Das ist noch für eine charitas zu wenig ideal, geschweige für eine Maria.

Wenn nur die Heiligkeit nicht vermisst wird, sind Nuancen im Ausdruck nicht nur erlaubt, sondern nach Umständen auch geboten. Der freudenreichen Maria ziemt die Freundlichkeit der Bilder Fiesoles, Leonardo da Vincis, Sassoferratos (dessen Madonna vorzugsweise mater amabilis heisst); der schmerzenreichen dagegen der mehr wehmüthige Ausdruck, den ihr Fra Bartholomeo gegeben. Doch behauptet vor jenem lieblichen Lächeln und vor jener Wehmuth die Heiligkeit den Vorrang.

Diese Heiligkeit erscheint in den ältesten Marienbildern in doppelter Weise ausgedrückt, durch Hoheit der Gestalt und Miene, die ein höheres Wesen verkündet, und zugleich durch die andächtige Geberde der bittend erhobenen Hände. Diese Bitte ist voll Demuth und zugleich Hoheit. Sie ist Fürbitte, die ganze Haltung hat etwas Priesterliches. Die älteren italienischen Meister, Fr. Francia, Perugino und Andere, behielten noch viel von diesem Typus bei, namentlich die betende Stellung bei der ruhigen Klarheit und gleichsam Göttlichkeit der Miene. Erst später theilten sich die Künstler, und die Einen suchten das Heilige nur noch im Ausdruck einer rein menschlichen Andacht und Zerknirschung, die Andern nur im Ausdruck einer Geisteshoheit und Genialität, bei dem die Demuth fehlte. Der grösste und berühmteste Marienmaler, Raphael, hielt in seiner Jugend noch die ältere fromme Weise seines Meisters Perugino fest, malte aber nachher in viel freierer Weise seine Madonnen meist in’s Liebliche, in holdlächelnde Jungfrauen und seelenvolle zärtliche Mütter, und endlich in ein weibliches Ideal aus, in welchem der aus dem dunklen Auge blitzende Geist, der in der sinnreichen Stirne gewitterhaft zuckende Gedanke, das auf den beredten

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_103.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2022)