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Künstlergeist in tiefster Frömmigkeit und Andacht dem Höhern unterwerfe, während in dieser der Künstlergeist aus eigner Macht und in voller Freiheit aus dem Heiligen mache, was ihm beliebe, und es eben deshalb in’s Menschliche und Gemeine hinabziehe. „Die alten Künstler arbeiteten unter dem Einfluss des Glaubens, fasteten, beteten, beichteten und nahmen das Abendmahl, um die Heiligenbilder zu vollenden. Der Pinsel der fremden Schule dagegen malt eine Körperschönheit, wie sie die Phantasie des Künstlers sich ausdenkt, und nicht selten nach einem unheiligen Gegenstand, dessen Schönheit ihm gefiel.“ Das gilt ganz vorzüglich von Marienbildern, die nur zu oft eine irdische Geliebte des Malers im Portrait verewigen sollten. Blasius in seiner Reise im europäischen Russland I. 123. macht eine ganz ähnliche Bemerkung. Er besuchte das grosse Nonnenkloster Kyrillof, wo die Nonnen Heiligenbilder malen, und erzählt von ihnen: „Man kann a priori nicht geneigt seyn, Erzeugnisse von künstlerisch vollkommen ungebildeten russischen Mädchen, die von Kindheit auf von jedem lebendigen geistigen Impuls abgeschnitten, ohne Kenntniss des mannigfach gestalteten Lebens, auf ihre engen Klostermauern beschränkt geblieben sind, mit der Periode einer äusserlich frei entwickelten Kunstepoche zu vergleichen. Aber hier kann man mit Ueberzeugung sagen: Was kein Verstand der Verständigen sieht, das übt in Einfalt ein kindlich Gemüth. Was die Schöpfer der neudeutschen Heiligenmalerei mit Mühe zu erreichen meist vergeblich gestrebt haben, das leisten die russischen Nonnen, die es meist nicht einmal zu einem geläufigen Lesen und Schreiben gebracht haben.“ Das sind Worte eines „aufgeklärten“ Naturforschers. Gewiss enthalten sie eine tiefe Wahrheit. Sie bezeichnen das Heilige, was der gebildetste Verstand vergebens sucht und was sich dem kindlichen Herzen von selber offenbart.

Heiligkeit ist das erste Erforderniss eines Marienbildes, Huld das zweite.

Die Vermittlung, in der sich Königin und Magd wie Mutter und Jungfrau berühren, liegt in der weiblichen Huld,

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_088.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2022)