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zu schmälern. Wenn Turner auf Monet, Pissarro, Sisley und Renoir wie eine vom Himmel gefallene Offenbarung wirkte, auf Constable waren sie durch Jongkind vorbereitet. Sie hatten schon in den sechziger Jahren bei dem Père Martin, der mit den ersten Pissarros handelte, die kleinen Wunder des Holländers gesehen, seine Kanalbilder, seine winzigen Marinen, seine Seinelandschaften, die wie vereinfachte, fast möchte man sagen, linear gemachte Skizzen Constables erschienen. Jongkind ist der treue Hüter der holländischen Zuthat zur Landschaft der Franzosen, der Erhalter des Intimitätswertes in der, grösseren Dingen zueilenden, Jugend. Er zog das Auge, das sich an den Träumen Corots oder dem Pathos Courbets begeisterte, auf seine blitzend lebendige Kleinkunst zurück. Er hat an der eigentlichen neuen Dekoration, die Manet und Monet brachten, keinen Anteil, aber war von grösstem Wert, weil er mit seiner Perlenkunst immer wieder zeigte, was auf dem entgegengesetzten Wege durch Konzentration zu holen war. Diese Teilnahme beschränkt sich nicht auf kleine Leute wie Boudin, die ganz unmittelbar auf ihm fussen, sondern ist in den Werken der meisten Impressionisten, namentlich; Monets und Sisleys zu spüren. Wie Signac in seiner Geschichte des Neo-Impressionismus richtig bemerkt, lag für Monet und Pissarro nach ihrer Rückkehr aus London nichts näher, als Turner mit Jongkind zu verschmelzen. So wurde thatsächlich der Entwicklungsgang Monets, aber nicht der seines Reisegenossen. Dieser liess vielmehr Monet allein den Weg gehen und nahm dann viel später von ihm. Die wichtige Synthese Turner - Jongkind ist ganz allein Monets Werk.

Pissarro brauchte das Dezennium von 1872 bis 82, das er in Pontoise zubrachte, zur Härtung und Zuspitzung seines Pinselstrichs. Diese Entwicklung ist nichts weniger als gradlinig, wie das ganz zweckbewusste Fortschreiten Monets, sondern erfolgt in verwegenen Kreuz- und Quersprüngen. Um das Jahr 75 taucht auf einmal Courbet wieder auf. An ihn erinnern die beiden höchst merkwürdigen Ansichten des Teiches von Montfoucault, einmal im Herbst, einmal im Winter (Sammlung Rosenberg). Sie fallen ganz aus dem übrigen Werke heraus, ganz breit gemalte, mit dem Messer geschlichtete Flächen. Man denkt etwa an die monumentalen Grotten- und Wellenbilder Courbets. Aber Pissarro modelliert nicht wie Courbet. Die Flecke sind ganz glatt gedrückt, geben ein unregelmässiges Mosaik, dem zur Mosaikwirkung die starke Linie fehlt. Man spürt das Experiment, er hat mal etwas anderes machen wollen, aber das andere bringt keinen notwendigen Aufschluss. Gleich darauf malt er wieder anders. In der Mère Gaspard bei dem Dr. Viau und ähnlichen Sachen des Jahres 76 meldet sich die typische Fleckenkunst Cézannes. Dieser malte um diese Zeit mit Vignon in Auvers sur Oise, nicht weit von Valmondois, wo der alte Daumier in dem von Corot gestifteten Hause lebte. Pontoise liegt nahebei, und Pissarro mag ebenso oft in Auvers wie Cézanne in Pontoise gewesen sein. Anfangs profitiert Cézanne, wie man bei Dr. Gachet noch heute verfolgen kann, von dem Aelteren; es giebt Cézannesche Landschaften, die den Pissarros der ersten Hälfte der siebziger Jahre frappierend gleichen. Sobald aber Cézanne seine eigenen Tonwerte gefunden hat, wird er der Führer. Gleichzeitig beginnt nunmehr Pissarro entschieden seine Palette zu reinigen. Mehr als Cézanne verdankte er dabei Claude Monet. Das grosse Bild bei der Witwe Pissarro, die Dame mit dem Sonnenschirm in dem Stadtgarten von Pontoise (1877), wirkt trotz des Umfanges wie ein unbillig verkleinerter Monet. Es ist die Beleuchtung, die Farbenwahl, das Motiv des Freundes; nur die Organisation Monets fehlt. Die Farbe bleibt Farbe, gelangt nicht zu dem Rhythmus, über dem man vergisst, dass sie rot oder blau, rein oder gemischt ist. Das Bild ist Palette. Erst gegen Ende der siebziger Jahre wird Pissarro der Monetschen Palette einigermassen Herr und macht seine kleinen Spritzer aus den Farben des Spektrums.

Pissarro hat, ohne es zu wollen, den Aberglauben von der allein selig machenden Technik der Modernen gründlich widerlegt. Die Technik ist das Ausdrucksmittel des Künstlers, von entscheidender Wichtigkeit für seine Kunst wie für den Redner und Schreiber die Sprache, aber selbstverständlich nie absoluten, immer nur relativen Wertes, da sie bei dem rechten Werke immer nur Folge, nie Veranlassung ist und allemal von dem abhängt, was der Künstler zu sagen hat. Man hat sie eine Zeit lang bei uns in Deutschland für null und nichtig erachtet, als man den Künstler um so höher schätzte, je allgemeiner, vager, formloser seine Absicht erschien, als man von der Kunst keine Ordnung, sondern den Ausdruck unserer eigenen Unzulänglichkeit erwartete. Und darauf hat man geschwind zu dem anderen Extrem gegriffen und das merkwürdige Axiom aufgestellt, dass es nur auf die Sprache ankomme und eine nach allen Regeln des

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Julius Meier-Graefe: Camille Pissarro. Cassirer, Berlin 1904, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Camille_Pissarro_(Julius_Meier-Graefe).pdf/8&oldid=- (Version vom 31.7.2018)