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CAMILLE PISSARRO, DAS LANDHAUS

die folgenden Jahre die Pariser Boulevards u. s. w. Es war als gäbe ihm die Notwendigkeit, sich von der unmittelbaren Berührung mit der Aussenwelt zurückzuziehen, die früher oft entbehrte Sammlung. Zum erstenmal kommt es in diesen virtuosen Massenschilderungen zu einem vollkommenen Gleichgewicht der modernen Palette Pissarros und zu ganz lebendigen Erscheinungen. Von den zwei grössten Meistern, denen er sein Leben lang anhing, gab er mindestens dem einen in diesen Werken eine würdige Folge. Das Juwelenwerk Constables scheint hier auf grössere, lichtere Flächen übertragen. Man erlebt nicht die Ueberraschungen wie bei Constable, der seine winzigen Menschen wie Rubine oder Smaragde in die Natur stellt und sie mit einer Landschaft einfasst, die wiederum wie kostbares Material leuchtet. Pissarros Bilder schimmern mehr in der ganzen Fläche, er kann nichts verstecken, ist das Gegenteil alles Pikanten und Seltenen; aber er zeigt in diesen Bildern etwas, das nicht des Raffinements bedarf. Die Fülle giebt hier der Vorwurf, das Gewimmel auf den Strassen mit den riesigen Häusern, das Punktmässige der Menschen und Wagen in den grossen Perspektiven des Boulevards, der Tuilerien, der Place de la Concorde. Es ist ein sehr allgemeines Paris, vielleicht nur von einem räumlich erhöhten, nicht gar zu fernliegenden Standpunkt gesehen; Paris als Masse, als Kohlfeld. Man ahnt nicht die spezifische Geste der Stadt, kaum ihre eigene Farbe, wohl aber wird die Illusion einer städtischen Vegetation geweckt. Aus dem Holzpflaster scheinen Blumen zu spriessen und die Häuser bedecken sich mit Guirlanden. Es ist Sonnenschein. Man sieht gern die Bilder, nicht weil sie Besonderes von Paris erzählen, sondern weil man sich gern und leicht in diese Sonnenstimmung das Besondere von Paris hinzudenkt.

Pissarro starb in der Arbeit am 12. November vorigen Jahres im Alter von 73 Jahren. Das Bedauern war allgemein; ich glaube nicht, dass er Feinde gehabt hat. Er lebte einfach und zurückgezogen im Kreise der Seinen und seiner Freunde,

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Julius Meier-Graefe: Camille Pissarro. Cassirer, Berlin 1904, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Camille_Pissarro_(Julius_Meier-Graefe).pdf/13&oldid=- (Version vom 31.7.2018)