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den drei äpfelpflückenden Frauen; es wirkt grau trotz der lebhaften Farbe. Zwei Jahre darauf malt er ungefähr dasselbe Motiv verkleinert (heute bei A. Bureau) nach dem Prinzip des Neo-Impressionismus. Die Hülfe, die Pissarro Seurat und Signac dadurch zu teil werden liess, dass er sich ihrer Methode kurze Zeit unterwarf, verdient dankbare Anerkennung. Er gab den mutigen Eroberern zur rechten Zeit eine moralische Ermunterung und nötigte wenigstens einen kleinen Teil des Publikums, ihre Versuche ernsthaft zu nehmen. Er selbst hatte wenig davon. Seurat und Signac brauchten ihre Technik und Seurat suchte ganz ruhige, nur schematisch bewegte Flächen für seine Monumentalmalerei. Signac aber, der wirkliche Begründer des Neo-Impressionismus im engeren Sinne, war für diese Technik geboren. Er brachte genau die eigentümliche Anlage mit, die sich in den reinsten Farben wohlfühlte und den Grad von Rhythmus, der genau die Grenzen der Teilungstechnik auszufüllen vermochte. Seurat steht dem Verfahren ganz objektiv gegenüber, seine Bedeutung liegt in nichts weniger als seinem oft handwerksmässigen Punktieren. Signac – später Cross – hat wirklich aus dem Verfahren eine neue Malerei gemacht und ein so biegsames Mittel daraus gewonnen, dass das Theoretische, der mechanische Zwang und alles, was die Gegner solcher Theorien schrecken könnte, vollkommen zurücktritt. Davon war bei Pissarro keine Rede. Er teilte die Ueberzeugung von der Richtigkeit der Henryschen Folgen ebenso aufrichtig wie z. B. heute die jüngsten deutschen Nachfolger Signacs, aber kam ebensowenig wie sie in ein persönliches Verhältnis zu dem neuen Mittel. Man hat von keinem seiner Bilder dieser Zeit den Eindruck, der bei Signac entscheidet, dass es nur mit diesem Verfahren möglich wäre, dass alles, was es giebt, nicht auf anderem Wege noch besser erreicht werden könnte. Signac hat nicht seine Technik, er steckt in ihr drin, arbeitet, lebt mit ihr wie Monet mit der seinen oder wie Manet mit der seinen lebte. Pissarro zog sich diese Technik an wie vorher und nachher verschiedene andere; sie hängt sehr oft leblos über seinem Gestaltungsvermögen und hindert es an der ewig jugendlichen Schöpfung glücklicher Maler. Schon 1888 wird der Weg wieder aufgegeben. Pissarro empfand die Technik Signacs wie etwas Mechanisches und suchte sie für seinen Gebrauch zurecht zu stutzen. Er teilte noch den Fleck, ja er hat die kleine Touche fast immer beibehalten, aber mischte die Farbe. Dabei kam er zuweilen der Spielereien Henri Martins nahe wie in der Landschaft St. Charles bei Durand Ruel (1889) und noch schlimmer in manchen späteren Bildern, die, trotzdem sie garnicht kunstgerecht geteilt sind, den Eindruck peinlich mechanischer Arbeit hervorrufen. Zuweilen wird ein der Phantasie entkleideter Monticelli in harten, hellen Farben daraus. Das Bild der Sammlung Pontremoli, die Frau am Wasser (1895), sieht auffallend porös aus, als sei die Leinwand durch einen seltsamen Prozess in ein grobkörniges, dickes Gewebe verwandelt. Die Vorgänge auf solchen Bildern sind ganz indifferent, sie bewegen sich nicht, man glaubt merkwürdige Bildungen zu sehen, Zustände, nicht das wunderbare, nie stillstehende Leben. Auch die Zeichnung Pissarros wirkt ähnlich. Was dem Maler Corot und Constable gaben, wurde Millet dem Zeichner. In allen Figuren Pissarros steckt etwas von dem Schöpfer des Semeur. Aber das Uebernommene wird nur selten bereichert. Auch Monet hat Millet; er öffnete die feste Form des grossen Vorgängers und that Sonne hinein. Es sprüht gewaltig von Licht in Monets Gemälden, aber durch den Flimmer spürt man monumentale Umrisse, riesige, sicher gebaute Massen. Pissarros Atmosphäre ist zäher, und doch sind die Dinge darin nicht in der notwendigen Ruhe. Er grenzt oft an das Formlose. Man sieht wohl, dass seine Körper Arme und Beine haben, aber sie bewegen sich nicht. So ein Bauer bei Millet steht wie eine Welt, noch auf viel mehr als nur seinen Beinen. Er wächst aus der Erde heraus. Bei Pissarro steht er nur auf den paar Metern der Bildfläche. Nur wo die Figuren in ganz kleine Formate plaziert sind, geben sie das Beste vom Geiste Millets. Diese fächerförmigen Bildchen, meistens Aquarelle, mit ein paar Menschen, einem Stückchen See oder Land gehören zu den reizendsten Dingen der französischen Malerei. Hier scheint der alte Naturmaler freie Rhythmen zu dichten. Vielleicht gelangen sie, weil er die Sache nicht so ernst nahm.

Denn sonst malte er nur streng nach der Natur. Erst 1896 zwang ihn ein Augenleiden, die Arbeit im Freien aufzugeben. Man möchte fast das Ungeschick segnen, denn es brachte dem Greis eine letzte glorreiche Schaffensperiode, die, von der ersten Zeit abgesehen, vielleicht seine glänzendste geworden ist. Er fing an, vom Fenster des Zimmers aus die Stadt zu malen. 1896 entstand die Serie der Strassenbilder von Rouen, darunter das brillante Bild mit der grossen Brücke von Rouen; 1897 und

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Julius Meier-Graefe: Camille Pissarro. Cassirer, Berlin 1904, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Camille_Pissarro_(Julius_Meier-Graefe).pdf/12&oldid=- (Version vom 31.7.2018)