Seite:Busch Ut oler Welt 125.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Busch: Ut ôler Welt. Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime

Als nun nach einer Weile das Fräulein wieder kam und sein Schifflein nicht fand, hob es eine große Klage an und rief:

»Radderadderatt, min mollenschaart![1]
Eck mot noch vandâge in engelland brût stân,
Un bin noch hier!«

und rang die Hände und lief und suchte das Ufer entlang. Da bewegte den Schäfer dies Klagen und Jammern, daß er ihm die Muldenscherbe wieder gab. Das Fräulein trat hinein, dankte dem Schäfer und sagte: »Morgen um diese Zeit komme wieder zu dieser Stelle, so wirst du zwei Stücke weißen Leinens finden, die nimm zum Lohn!« Nach dieser Rede fing das Spähnlein wieder an zu gleiten immer den Strom hinab, in großer Eile, daß es bald verschwand.

Als der Schäfer am andern Abend zu der Stelle kam, hatte das Fräulein sein Wort gehalten; es lagen zwei Stück Leinen an der Stelle, die waren weiß gebleicht und über die Maßen fein gesponnen und gewebt.

Andere erzählen, der Schäfer sei erst nach einem Jahr wieder zu der Stelle gegangen; da hing das Leinen allerdings in den Weiden, war aber schon ganz verrottet und nicht mehr zu gebrauchen.

Die Jungfrau fuhr nach England. Woher sie kam? das weiß man nicht zu sagen. Was sie im Dorfe gewollt? ist nicht bekannt; doch wird von einigen gesagt: es sei eine Mahr gewesen.


26.

Einen jungen Burschen drückte und quälte jede Nacht die Mahr. Darum bat er einen guten Freund, bei ihm zu schlafen. In der Nacht kam die Mahr richtig wieder; da verstopfte der andere Bursche das Loch an der Thür, wohin durch der Klinkenriemen gezogen war. Da wurde die Mahr den beiden sichtbar und erschien als ein hübsches Mädchen. Der Bursche, den sie so geplagt hatte, wollte sie im Zorne erst schlagen und mißhandeln; doch ob ihrer Schönheit vergaß er seinen Groll und nahm sie zu seiner Frau und lebte mit ihr ein Jahr lang zusammen. Da bekam sie ein Kind. Als sie dann wieder ein Kind bekommen sollte, sagte der Bursch zu ihr: »Was meinst du, solltest du wohl so, wie du jetzt bist, wieder durch das Loch hindurch können, wo du damals zu mir herein kamst?« Als er das kaum gesagt hatte, verschwand die Mahr durch das Riemenloch der Thür und kam niemals wieder.


  1. Sonst fand ich das Wort schaart nur noch in Wiäserschaart, Weserscharte = Porta Westphalica. – Daß man den Unholdinnen nur neckische Transportmittel gelassen hat, scheint natürlich zu sein. Die Holden von ehedem, mit allem was drum und dran war, sind eben unter dem Drucke des neuen Glaubens verkümmert und schäbig geworden. Einst hatten sie stolzen Rosse, oder Adler- und Schwanenhemden zu ihrer Verfügung, jetzt müssen sie sich begnügen mit Schweinen, Kälbern, Besen, Ofengabeln, zerbrochenen Sieben und Mulden. W. B.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Busch: Ut ôler Welt. Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime. München: Lothar Joachim, 1910, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Busch_Ut_oler_Welt_125.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)