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Wilhelm Busch: Ut ôler Welt. Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime

ihn zu kam, ihn zu schrecken, so ließ er sich doch nicht wirren, ging weiter und kam zur Stelle, wo das graue Männchen ihn erwartete. »Es ist dein Glück, daß du gekommen bist!« sprach er; »nun gib mir Antwort auf drei Fragen; kannst du sie nicht lösen, so greif ich dich.« »Sag her!« erwiderte mit ruhigem Mute das Kind. Da fragte das Männchen: »Was ist härter als ein Stein?« Das Kind antwortete: »Mutterherz.« »Was ist weicher als ein Daunenbett?« Das Kind antwortete: »Mutterschoß.« »Was ist süßer als Milch und Honig?« Das Kind antwortete: »Mutterbrust.« Da ist das Männchen verschwunden und abgestunken.

Als nun das Kind unversehrt heraustrat, sahen die, welche zurückgeblieben waren, daß ihm der Arge nichts hatte anhaben können, und freuten sich, denn alle hatten das Kind lieb, weil es so klug war und so gut; da hat auch seine Mutter wieder frohe Tage erlebt.


7. Die böse Stiefmutter.

Meine Großmutter hat mir erzählt, es wäre mal eine kleine hübsche Dirne gewesen, die hat eine Stiefmutter und auch eine Stiefschwester gehabt. Die Stiefmutter ließ ihre rechte Tochter immer in schönen Kleidern gehen und that ihr alles zu Willen; sie brauchte auch gar nicht zu arbeiten; aber die Stieftochter mußte den ganzen lieben Tag draußen am Brunnen sitzen und Garn winden, daß ihr der Faden zuletzt die Finger ordentlich blutig schnitt. Davon hatte sie aber wenig Dank, mußte immer in lumpigem Zeuge gehen, und ihre Stiefmutter sagte ihr nichts als böse Worte. So saß sie auch mal wieder und wand und wand, und die Hände wurden ihr zuletzt so lahm von allem wickeln, daß ihr unversehends der dicke Knäuel in den Brunnen sprang. Da kriegte sie große Angst, denn die böse Stiefmutter hätte sie gewiß geschlagen, wenn sie den Knäuel nicht wiederbrachte. Darum stieg sie in den Brunnen hinab; der war wohl tief, aber ganz zerfallen und kein Wasser mehr drinn.

Wie das Mädchen nun unten auf den Boden kam, so war da eine ordentlich kleine Thür, die machte sie auf und ging hindurch; da war alles frei und schön. Dicht neben der Pforte lag auf einem Blocke ein großes scharfes Beil und Holz dabei, das rief: »Hau mich entzwei, hau mich entzwei!« Da nahm das Kind das Beil und hackte das Holz. Als es das gethan, ging es weiter und kam zu einem Backofen, drinnen rief das Brot: »Zieh mich raus, zieh mich raus.« Da zog das Kind das Brot aus dem Ofen, und als es nun weiter ging, begegnete ihm eine Kuh, die rief: »Melk mich, melk mich!« Das tat das Mädchen auch und ging weiter. Nicht lange, so begegnete ihm eine Ziege, die rief: »Melk mich, melk mich!« Als das Mädchen die auch gemelkt hatte, ging es weiter und kam zuletzt an ein Haus, davor saß eine alte Frau und spann und hatte einen Hund und zwei Katzen bei sich. »Du mußt nun bei

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Wilhelm Busch: Ut ôler Welt. Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime. München: Lothar Joachim, 1910, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Busch_Ut_oler_Welt_016.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)