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Wilhelm Busch: Ut ôler Welt. Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime

gab mein Onkel über unser Heimatdorf Wiedensahl, wo die meisten erzählt und von ihm gesammelt sind, Folgendes an[1]:

»Wiedensahl, platt Wiensaol, hat seinen Namen zum Theil von dem in der Mitte des Orts befindlichen Teiche, dat saol genannt, so daß jemand, der Freud am Vermuthen findet, sich denken mag, die Bedeutung des Ganzen könnte vielleicht Wald-, Weiden- oder Heiligensee sein.

Neben der Pfarre lag einst der Edelhof. Einer der edlen Herrn, die dort gehaust, ist wohl ein grimmiger Kerl gewesen, denn es heißt, er habe aus Ärger über einen Hahn, der oft über die Hecke flog und im adeligen Garten kratzte, seinen Nachbar, den Pastor, maustodtgeschossen.

Draußen, wo jetzt die alte Windmühle ihre Flügel dreht, hat vor Zeiten ein Schloß gestanden. Es ist lange verschwunden, nur der Brunnen blieb später noch sichtbar, bis schließlich das Gras darüber wuchs. Als die drei Frölen, denen das Schloß gehörte, nach Bockeloh zogen, schenkten sie ihr Land, die wiäme, der Pfarre, den Wald der Gemeinde. Dafür mußten die Wiedensahler eine Abgabe in Geld entrichten. Mal ließ sich der Mann, der es hob, mehre Jahre nicht blicken. Dem damals regierenden Burgemeister kam es bedenklich vor, wenn es so weiter ginge und dann die Summe auf einmal gefordert würde. Drum ging er los, um sich persönlich deshalb zu erkundigen. In Bockeloh, wo die Sache bereits gründlich vergessen war, hat man ihn sehr gelobt und freundlich entlassen mit der festen Versicherung, daß die Rückstände eingezogen und die Abgabe wieder regelmäßig geholt werden sollte, was denn auch pünktlich geschah.

Nicht weit von der Wiedensahler Grenze zieht sich im Schauenburger Walde der Schanzgraben oder Drusenwall hin. Eine Stelle, an der er doppelt ist, nennt man den Pferdestall. Rückten nun die Schlüsselburger von der Weser her, wie sie öfters thaten, zum Sengen und Plündern aus, dann zogen sich die Wiedensahler hinter den Wall zurück, und regelmäßig eilte ihnen der tapfere Ritter von Bückeburg mit seinen Leuten zu Hülfe. Die Wiedensahler waren nicht undankbar. So oft die gnädige Frau in Wochen kam, brachten sie ihr Eier und junge Hähnchen. Was aber gutswillens geschah, wurde später ein Zwang. Die Eier und Hähnchen mußten nach Bückeburg geliefert werden, ob die Gnädige in Wochen war oder nicht. Bis um die Mitte des letzten Jahrhunderts ist die Verpflichtung inkraft geblieben.

Die Zeit kramt alles um; nur thut sie es in abgelegener Gegend etwas später als anderswo.

Erst mit den zwanziger Jahren verlor sich der Brauch, in der Hespe, einem Fahrweg zwischen zwei Hecken, die Schweine von gemeindewegen durchs wilde Feuer zu treiben.


  1. Vergl. Nöldeke, Wilhelm Busch. S. 1 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Busch: Ut ôler Welt. Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime. Lothar Joachim, München 1910, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Busch_Ut_oler_Welt_005.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)