Allerdings gibt es nichts Wünschenswerteres als Eintracht: aber andererseits: wie kann man, so lange menschliche Leidenschaften, Sonderinteressen u. s. w. bestehen, dauernde Eintracht für möglich halten?“
„Erlauben Sie,“ nahm jetzt mein Sohn Rudolf das Wort. „Vierzig Millionen Einwohner eines Staates bilden ein Ganzes. Warum also nicht mehrere hundert Millionen? Soll das mathematisch und logisch beweisbar sein: so lange menschliche Leidenschaften, Sonderinteressen u. s. w. bestehen, können wohl 40 Millionen Leute darauf verzichten, sich untereinander zu bekriegen – drei Staaten sogar, wie gegenwärtig der Dreibund, können sich verbünden und eine „Friedensliga“ bilden – aber fünf Staaten können dies nicht, dürfen dies nicht? Wahrlich, wahrlich: unsere heutige Welt gibt sich für ungeheuer klug aus und belächelt die Wilden – und doch: in manchen Dingen können auch wir nicht bis fünf zählen.“
Einige Stimmen erhoben sich: „Was? Wild? – Das uns – mit unserer überfeinerten Kultur? Am Ende des neunzehnten Jahrhunderts?“
Rudolf stand auf:
„Ja, wild – ich nehme das Wort nicht zurück. Und so lange wir uns an die Vergangenheit klammern, werden wir Wilde bleiben. Aber schon stehen wir an der Pforte einer neuen Zeit – die Blicke sind nach vorwärts gerichtet, Alles drängt mächtig zu anderer, zu höherer Gestaltung … Die Wildheit mit ihren Götzen und ihren Waffen – schon schleuderten sie Viele von sich. Wenn wir der Barbarei auch noch näher
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. E. Pierson’s Verlag, Dresden/Leipzig 1899, Band 2, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_2).djvu/327&oldid=- (Version vom 31.7.2018)