ein voll schmerzlichsten Erbarmens geseufztes: „O ihr armen, armen Menschen!“ Da nun sehe ich unter hageldichten Mordgeschossen aufschreiende Gestalten zusammenbrechen – und jetzt erst erinnere ich mich, daß auch mein Liebstes so zusammenbrach …
Aber im Traume, sonderbar: da weiß ich nie etwas von meinem Verlust. Da geschieht es häufig, daß ich mit Friedrich spreche und verkehre, als wäre er noch am Leben. Ganze Auftritte aus der Vergangenheit – aber keine trüben – spielen sich da ab: das Wiedersehen nach Schleswig-Holstein; die Scherze an Sylvias Wiege; unsere Fußtouren in den schweizer Bergen; unsere Studienstunden über geliebten Büchern und hier und da jenes gewisse Bild im Abendsonnenschein, wo mein weißhaariger Mann mit seiner Gartenscheere die Rosenzweige stutzt – – „Nicht wahr,“ lächelt er mir zu, „wir sind ein glückliches altes Paar?“ – – –
Meine Trauerkleider habe ich niemals abgelegt – selbst am Hochzeitstage meines Sohnes nicht. Wer einen solchen Mann geliebt, besessen und verloren – so verloren – dessen Liebe muß auch „stärker sein als der Tod“, dessen Rachegroll kann nimmer erkalten.
Aber wen trifft dieser Zorn? An wem sollte ich Rache üben? Die Menschen, welche die That vollbracht, trifft nicht die Schuld. Der allein Schuldige ist der Geist des Krieges und diesem nur könnte mein – allzuschwaches – Verfolgungswerk gelten.
Mein Sohn Rudolf stimmt mit meinen Gesinnungen
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. E. Pierson’s Verlag, Dresden/Leipzig 1899, Band 2, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_2).djvu/307&oldid=- (Version vom 31.7.2018)