Mein Sohn Rudolf hatte eigentlich recht, auf seinen Stiefvater eifersüchtig zu sein – dieses Gefühl war nämlich seit letzter Zeit im Herzen des Kleinen erwacht. Daß ich von Grumitz abgereist war, ohne ihm adieu zu sagen, daß ich bei meiner Rückkunft nicht zuerst ihn zu umarmen verlangt; – daß ich überhaupt fast den ganzen Tag nicht von des Gatten Seite wich – das alles zusammengenommen hatte das arme Bürschchen veranlaßt, mir eines schönen Morgens weinend an den Hals zu sinken und zu schluchzen:
„Mama, Mama, Du hast mich gar nicht mehr lieb!“
„Was sprichst Du für Unsinn, Kind?“
„Ja … nur … nur Pa-pa … Ich … ich will gar nicht … groß werden, wenn Du mich … nicht mehr magst …“
„Nicht mehr mögen? Dich, mein Kleinod!“ – Ich küßte und herzte das weinende Kind – „Dich, mein einziger Sohn, mein Stolz, meine Zukunftsfreude! Ich habe Dich ja so, ich habe Dich ja über – nein, nicht über alles, aber so unendlich lieb.“
Nach diesem kleinen Auftritt war mir die Liebe zu meinem Buben wieder lebhafter zum Bewußtsein gekommen. In der letzten Zeit war ich in der That von der Angst um Friedrich so sehr eingenommen gewesen, daß der arme Rudolf ein wenig in den Hintergrund gedrängt worden.
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. E. Pierson’s Verlag, Dresden/Leipzig 1899, Band 2, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_2).djvu/125&oldid=- (Version vom 31.7.2018)