hatte der Doktor bereits auf einem früheren Rundgang konstatiert.
Wir hatten kaum hundert Schritte gemacht, als laute Klagerufe an unser Ohr schlugen. Dieselben drangen aus dem offenen Thor der kleinen Dorfkirche. Wir traten ein. Über hundert Menschen lagen auf dem harten Steinboden – schwerverwundet, verstümmelt. Fiebernden und irrenden Blickes schrien und jammerten sie nach Wasser. Schon an der Schwelle war mir zum Umsinken – ich schritt aber dennoch die Reihen durch: ich suchte ja Friedrich … Er war nicht da.
Bresser mit seinen Leuten machten sich bei den Armen zu schaffen; ich stützte mich an ein Seitenaltar und blickte mit unnennbarem Schaudern auf das Jammerbild.
Und das war der Tempel des Gottes der ewigen Liebe – das waren die wunderthätigen Heiligen, welche da in den Nischen und an den Wänden fromm die Hände falteten und ihre Köpfe unter dem goldstrahlenden Glorienschein emporhoben? …
„O Mutter Gottes, heilige Mutter Gottes … einen Tropfen Wasser … erbarme dich!“ hörte ich einen armen Soldaten flehen. Das hatte er zu dem buntbemalten, tauben Bilde wohl schon tagelang vergebens gebetet. – O, ihr armen Menschen, ehe ihr nicht dem Gebot der Liebe gehorcht, das ein Gott in eure Herzen gelegt hat, werdet ihr immer vergebens die Liebe Gottes anrufen – so lange unter euch die
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. E. Pierson’s Verlag, Dresden/Leipzig 1899, Band 2, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_2).djvu/093&oldid=- (Version vom 31.7.2018)