Der Zug hielt. Mühsam und zitternd stieg ich aus und nahm mir mein Handgepäck herab. Ich führte ein Handkofferchen bei mir, mit etwas Wäsche für mich und Charpie und Verbandzeug für den Verwundeten; außerdem eine Reise-Toilettentasche. Die hatte ich so gewohnheitsmäßig mitgenommen, in dem anerzogenen Glauben, daß man gar nicht sein könne, ohne die silbernen Büchsen und Kapseln, die Seifen und Wasser, die Bürsten und Kämme. Reinlichkeit – diese Tugend des Körpers, dasselbe, was Ehrlichkeit für die Seele – diese zweite Natur des Kulturmenschen: wie mußte ich jetzt erst erfahren, daß darauf in solchen Zeiten ganz verzichtet werden muß. Nun ja – es ist ja nur folgerichtig: der Krieg ist die Verneinung der Kultur, also müssen durch ihn alle Errungenschaften der Kultur wegfallen; ein Rückschlag in die Wildheit ist er, also muß er alles Wilde im Gefolge haben – darunter auch jenes, dem Edelmenschen so furchtbar verhaßte Ding: den Schmutz.
Die Kiste mit Material für die Spitäler, die ich in Wien für Doktor Bresser besorgt hatte, war mit den anderen Kisten des Hilfskomitees aufgegeben worden – wer weiß wann und wo dieselbe abgeliefert wurde? Ich hatte nichts bei mir, als meine zwei Stück Handgepäck und ein umgehängtes Geldtäschchen, welches mit einigen Hundertgulden-Noten gefüllt war. Schwankenden Schrittes ging ich über die Schienen nach dem Perron. Dort herrschte, trotz der späten Stunde, dasselbe Gewühle, wie auf den anderen Stationen, und immer dasselbe Bild: Verwundete – Verwundete. Nein, nicht
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. E. Pierson’s Verlag, Dresden/Leipzig 1899, Band 2, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_2).djvu/076&oldid=- (Version vom 31.7.2018)