Tagen und aus dem Leben seiner Mutter; aber von dem, was ich erwartet hatte – kein Wort. Und so wurde auch ich immer zurückhaltender und kälter. Als er sich zum Gehen erhob, machte ich keinen Versuch, ihn zu halten und forderte ihn auch nicht auf, wiederzukommen.
Und als er draußen war, stürzte ich wieder zu den noch offen liegenden roten Heften hin und schrieb den unterbrochenen Satz weiter:
„Ich fühle, daß – alles aus ist … daß ich mich schmählich getäuscht habe, daß er mich nicht liebt und jetzt auch glauben wird, daß er mir ebenso gleichgültig ist, wie ich ihm. Beinahe abstoßend habe ich mich benommen. Ich fühle – er kommt nie wieder. Und doch enthält die Welt keinen zweiten Menschen für mich! So gut, so edel, so geistvoll ist keiner mehr – und so lieb wie ich Dich gehabt hätte, Friedrich, so lieb hat Dich keine andere, Deine Prinzessin – zu der Du zurückgekehrt zu sein scheinst – schon gewiß nicht. Mein Sohn Rudolf, Du sollst mein Trost und mein Halt sein. Fortan will ich von Frauenliebe nichts mehr wissen; nur die Mutterliebe soll mir Herz und Leben ausfüllen … Wenn es mir gelingt, einen solchen Mann aus Dir zu bilden, wie jener einer ist – wenn ich einst von Dir so beweint werde, Rudolf, wie jener seine Mutter beweint, so werde ich mein Ziel erreicht haben.“
Eigentlich eine thörichte Einrichtung, das Tagebuchschreiben. Diese stets wechselnden, zerfließenden und neu erstehenden Wünsche, Vorsätze und Anschauungen, welche
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. Dresden/Leipzig: E. Pierson’s Verlag, 1899, Band 1, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_1).djvu/142&oldid=- (Version vom 31.7.2018)