zu welchen ich in meiner stillen Studierzeit gelangt war, hatte ich ihr nie ein Wort mitgeteilt und fühlte auch kein Bedürfnis dazu. Wie selten kann man sich einem Menschen ganz geben! Das habe ich recht oft im Leben erfahren, daß ich dem einen nur diese, dem anderen nur jene Seite meiner geistigen Persönlichkeit erschließen konnte; daß, so oft ich mit diesem oder jenem verkehrte, sozusagen nur ein gewisses Register sich aufzog, die ganze übrige Klaviatur aber stumm blieb.
Zwischen Lori und mir gab es der Gegenstände genug, die uns zu stundenlangem Plaudern Stoff boten: unsere Kindheitserinnerungen, unsere Kleinen, die Ereignisse und Vorkommnisse unseres Gesellschaftskreises, Toilette, englische Romane und dergleichen mehr.
Loris Knabe, Xaver, war im Alter meines Sohnes Rudolf und dessen liebster Spielkamerad; und Loris Töchterchen, Beatrix, damals zehn Monate alt, wurde scherzweise von uns bestimmt, einst Gräfin Rudolf Dotzky zu werden.
„Sieht man Dich endlich wieder!“ empfing mich Lori. „Du bist ja in letzter Zeit ganz Einsiedlerin geworden. Auch meinen künftigen Schwiegersohn habe ich schon lange nicht die Ehre gehabt bei mir zu sehen – Beatrix wird das sehr übel nehmen … Jetzt erzähle, Kind, was treibst Du? … Und wie geht es Rosa und Lilli? Für Lilli habe ich übrigens eine interessante Nachricht, die mir mein Mann gestern aus dem Kaffeehaus mitgebracht: es ist einer sehr verliebt in sie – einer, von dem ich glaubte, er machte Dir
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. Dresden/Leipzig: E. Pierson’s Verlag, 1899, Band 1, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_1).djvu/119&oldid=- (Version vom 31.7.2018)