Seite:Bertha von Suttner – Die Waffen nieder! (Band 1).djvu/036

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

und die Ablehnung desselben nur von Gott veranstaltet worden wären, um meinen lauen Sinn zu erwärmen.

Aber auch diesen Zweifel auszudrücken, wäre unanständig gewesen. Sobald jemand den „lieben Gott“ in den Mund genommen, gibt das dem daran geknüpften Ausspruch eine gewisse salbungsvolle Immunität. Was die vorgeworfene Lauheit anbelangt, so hatte dieser Vorwurf einige Begründung. Tante Marias Religiosität kam aus tiefstem Herzen, während ich mehr äußerlich fromm war. Mein Vater war in dieser Beziehung völlig indifferent, ebenso mein Gatte, also hatte ich weder von dem Einen noch dem Andern Anregung zu besonderem Glaubenseifer erhalten. Mich in die kirchlichen Lehren mit Begeisterung zu vertiefen, hatte ich auch niemals vermocht, da ich dieselben überhaupt nur mit Anwendung des „Nichtdarübernachdenken“-Prinzips unangefochten lassen konnte. Ich ging wohl allsonntäglich zur Messe und alljährlich zur Beichte; auch war ich bei diesen Ceremonien voll Ehrfurcht und Andacht; aber das Ganze war doch mehr oder minder eine Art standesmäßiger Etiquettenbeobachtung; ich erfüllte die religiösen Anstandspflichten mit derselben Korrektheit, wie ich auf dem Kammerball die Figuren der Lanciers ausführte und die Hofreverenz machte, wenn die Kaiserin den Saal betrat. Unser Schloßkaplan in Niederösterreich und der Nuntius in Wien konnten mir nichts vorwerfen, aber die von der Tante vorgebrachte Beschuldigung war wohl berechtigt.

„Ja, mein Kind,“ fuhr sie fort, „im Glück und im Wohlsein vergessen die Leute leicht ihren Heiland –

Empfohlene Zitierweise:
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. Dresden/Leipzig: E. Pierson’s Verlag, 1899, Band 1, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_1).djvu/036&oldid=- (Version vom 31.7.2018)