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falls man nur außer der bisher allein bekannten mechanischen Bewegungsgröße noch eine neue Bewegungsgröße, die elektromagnetische, einführt. Abraham hat das noch näher dadurch plausibel gemacht, daß er die Erhaltung der Bewegungsgröße in Vergleich brachte mit der Erhaltung der Energie. Ebenso, wie das Energieprinzip verletzt wird, wenn man auf die elektromagnetische Energie keine Rücksicht nimmt, und erfüllt wird, wenn man diese Energieart einführt, so wird das Reaktionsprinzip verletzt, wenn man allein die mechanische Bewegungsgröße betrachtet, dagegen erfüllt, sobald man noch die elektromagnetische Bewegungsgröße berücksichtigt.

Indessen läßt dieser an sich gewiß unanfechtbare Vergleich doch noch einen wesentlichen Unterschied unberührt. Denn bei der Energie kennen wir ohnehin schon eine ganze Reihe verschiedener Arten: die kinetische Energie, die Gravitation, die elastische Deformationsenergie, die Wärme, die chemische Energie, und es bedeutet daher keine prinzipielle Neuerung, wenn man diesen verschiedenen Formen als eine weitere Form noch die elektromagnetische Energie angliedert. Dagegen bei der Bewegungsgröße kannte man bisher nur eine einzige: eben die mechanische. Während die Energie von vornherein schon einen universellen physikalischen Begriff darstellt, war die Bewegungsgröße bisher speziell ein mechanischer Begriff, das Reaktionsprinzip ein speziell mechanischer Satz, und daher mußte die als notwendig erkannte Erweiterung immerhin auch als eine Umwälzung prinzipieller Art empfunden werden, durch welche der bisher verhältnismäßig einfache und einheitliche Begriff der Bewegungsgröße einen erheblich komplizierteren Charakter erhält.

Ist es nun nicht möglich, auch vom Standpunkt der allgemeinen Dynamik aus die Definition der Bewegungsgröße, trotzdem sie jetzt sowohl die mechanische als auch die elektromagnetische Form umfaßt, dennoch ebenso einheitlich zu gestalten, wie das früher in der Mechanik geschah? Eine Bejahung dieser Frage würde jedenfalls auch zu einem Fortschritt in der Erkenntnis der eigentlichen Bedeutung des Reaktionsprinzips führen.

In der Tat scheint eine solche einheitliche Definition der Bewegungsgröße möglich und durchführbar zu sein, wenigstens wenn man zugleich die Einsteinsche Theorie der Relativität gelten läßt[1]. Nun muß allerdings hervorgehoben werden, daß diese Theorie heutzutage noch keineswegs als gesichert anzusehen ist. Allein da ihre Abweichungen von den übrigen in Betracht kommenden Theorien sich nur auf äußerst kleine Glieder beschränken, so wird man jedenfalls sagen dürfen, daß sie eben bis auf jene Abweichungen als richtig gelten kann, und insofern behalten also die folgenden Betrachtungen unter allen Umständen eine gewisse Bedeutung.

In der Relativitätstheorie läßt sich nun die Bewegungsgröße ganz allgemein auf denjenigen Vektor zurückführen, welcher die Energieströmung ausdrückt, aber nicht allein die Poyntingsche elektromagnetische Energieströmung, sondern die Energieströmung ganz im allgemeinen. Vom Standpunkt der Nahewirkungstheorie aus betrachtet kann ja eine jede Energieart nur durch kontinuierliche Fortpflanzung, nicht durch sprungweise Änderung ihren Ort im Raum verändern. Daher erfordert das Energieprinzip allgemein, daß die Änderung der gesamten in einem Raum befindlichen Energie gleich ist einem Oberflächenintegral, nämlich der algebraischen Summe der im ganzen durch die Oberfläche des Raumes einströmenden Energie. Die Strömung kann erfolgen durch Strahlung, wie beim Poyntingschen Vektor, durch Leitung, wie beim Druck oder Stoß und bei der Wärmeleitung, und durch Konvektion, wie beim Eintritt von ponderablen Atomen oder Elektronen durch die betrachtete Oberfläche. In jedem Falle ist die gesamte Energieströmung an jeder Stelle des Raumes, auf die Flächen- und Zeiteinheit bezogen, ein bestimmter endlicher Vektor, und der Quotient dieses Vektors durch das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit ist ganz allgemein die auf die Volumeneinheit bezogene Bewegungsgröße.

Nehmen wir als Beispiel eine mit der Geschwindigkeit bewegte ponderable Flüssigkeit unter dem Drucke . Durch ein Flächenelement einer ruhenden normal zu gerichteten Ebene strömt in der Zeit Energie durch Leitung und durch Konvektion. Die geleitete Energie ist die mechanische Arbeit: . Die mitgeführte Energie ist: , wobei die Energiedichte bezeichnet. Folglich ist nach der Definition die Bewegungsgröße der Volumeneinheit:

.

Vergleicht man diesen Ausdruck mit der gewöhnlichen mechanischen Bewegungsgröße , wo die Dichtigkeit der Flüssigkeit bedeutet, so findet man:

,

eine bekannte Beziehung der Relativitätstheorie[2].


  1. Vgl. insbesondere F. Hasenöhrl (Sitzungsbericht d. Akad. d. Wiss. zu Wien vom 31. Oktober 1907, S. 1400), der zwar nicht direkt von der Relativitätstheorie ausgeht, aber doch, soweit ich sehe, zu ganz den nämlichen Resultaten gelangt wie diese.
  2. Vgl. z. B. M. Planck, Ann. d. Phys. (4), 25, 27, 1908. Gleichung (48).