Seite:Beethoven’s neunte Symphonie.pdf/18

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Munde zu hören! Und gerade hier würde ich am bereitwilligsten in Ihren Tadel einstimmen, wenn er die Behandlung der Stimmen träfe, die sicher nicht den Worten angemessen und ihrer Fähigkeit entsprechend ist. Wenn nun das Ganze sich nach B-Dur 6/8 wendet, so erscheint (S. 137) ein Tenorsolo mit Chor von Männerstimmen, wobei, nicht wie Sie sagen, die Piccoloflöte und Clarinette, sondern sämmtliche Blasinstrumente in reichster Fülle das erste Thema als Begleitung ausführen, ein Satz, der für mich zu dem Schönsten im ganzen Finale gehört. Die rege Bewegung des syncopirten Themas in den Blasinstrumenten, das schöne Pianissimo, das hier so viele Kraft, so viel Feuer ahnen läßt, endlich die Kühnheit in den Einsätzen des Solotenors, das Alles ist den Worten so entsprechend und so originell, daß, wer nur hören will, hier sicher mit Genuß hören kann. Aber wohin gerath’ ich! – Hören wir Ihre Meinung über eben diese Stelle: „Die Vokalpartie an diesen Stellen ist ganz trocken!“ (Sic!) – Ihre Meinung über den Instrumentalsatz (S. 145 – 160) unterschreibe ich gern. Dagegen der folgende! – Oft genug habe ich Ihre Zeilen gelesen in der Hoffnung, daß sie mir minder hart erscheinen möchten; und doch muß ich wahrlich wieder die Dreistigkeit Ihres Tadels hervorheben. Ist es denn möglich, daß diese Stelle: „Ihr stürzt nieder“ (S. 173) Sie kalt gelassen hat? Diese Instrumentation mit Bratsche, Celli und Blasinstrumenten, diese einfache, so tief gefühlte Declamation, die Kraft in dem Es-Dur-Accord: „Ueber Sternen muss er wohnen“. Der leise Schauer in dem pianissimo folgenden Septimen-Accord der Violinen, das ist ganz spurlos an Ihrem verfeinerten Gehör vorüber gegangen. Das alles ist „weniger anziehend!“ – Ueber das ganze nun folgende Finale mag ich mir kein Urtheil zutrauen, insofern ich nämlich unbedingt glaube, daß wir alle erst einmal Begriffe haben müßten von einer so kolossalen Besetzung der Singstimmen, wie Beethoven sie sicher gedacht hat und mit Recht denken durfte. Daß der Chor, so wie wir ihn hören, gegen die ungeheuren Orchestermassen zwergartig erscheint, und dabei in dem lächerlichen Contrast der Ausführung gegen die Kraft und Würde der Worte tadelnswert erklingt, das ist unbedingt wahr; eben so sicher aber auch, daß uns einzelne Stellen schon jetzt ahnen lassen, wie es ungefähr wirken könnte, wenn der Chor der Singstimmen diesen Jubelchor erst einmal so siegend und kräftig sicher wird ausführen können, wie uns jetzt z. B. Händel’s Hallelujah geboten wird.[WS 1] Ich glaube fast, daß es dann tönen wird, wie ein Hymnus ganzer Völkerschaaren, ja wie der Jubel der Menschheit selbst. Freilich wird diese Zeit vielleicht nicht erscheinen, wenn noch mehre solche Anathemen gegen dieses Werk geschleudert werden sollten. Dann bleibt uns endlich nur die Hoffnung, daß die Hand, die jetzt so tiefe Wunden [/] schlägt, uns später durch eigene Schöpfungen viel reicher noch beschenken werde. Quod Deus bene vertat![WS 2]

Hamburg.   O.




Anmerkungen (Wikisource)

  1. Gemeint ist der Satz Halleluja am Schluss des zweiten Teils des Oratoriums Messiah von Georg Friedrich Händel.
  2. Zu deutsch: „was Gott zum Guten wende“.