Seite:Band II - Der Osten (Holl) 266.png

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Apollonius nach Rom, wird dem Kaiser vorgeführt, ins Gefängnis gesetzt, beschimpft, aber er bewahrt seine Würde und siegt durch die Ueberlegenheit seines Geistes.

     Die äußere Erniedrigung gibt ihm nur Anlaß zur vollen Offenbarung seiner Göttlichkeit. Wie er schon im Gefängnis einmal vor den Augen seines Begleiters die Fesseln abgestreift hat, so verschwindet er vor Domitian auf wunderbare Weise, nachdem die Auseinandersetzung ihren Höhepunkt erreicht hat und die Schlacht gewonnen ist.

     Damit endigt jedoch die Erzählung bei Philostratus nicht. Vielmehr läßt Philostratus den Apollonius unmittelbar nach seiner Entrückung sich noch zu seinen Freunden begeben, mit ihnen leben, essen und trinken wie zuvor, dann nach Hellas gehen, sich der ihn bewundernden Volksmenge in Olympia tagelang zeigen, in Lebadia ins unterirdische Heiligtum des Apollon hinabsteigen, nach zweijährigem Aufenthalt in Hellas Kleinasien noch einmal besuchen und dort den Tod des Domitian vorherverkündigen. Erst dann verschwindet Apollonius ganz, um nur noch einmal einem an der Unsterblichkeit zweifelnden Jüngling zu erscheinen.

     Was bedeutet dieser Schluß, der sich wie ein Anhang ausnimmt? Die Absicht kann nur die sein, damit zu beweisen, daß Apollonius auch nach seinem „Tod“ noch wirklich lebte. Seit der Entrückung vor Domitian gilt Apollonius als „tot“[1], d. h. was die Menschen so nennen. Denn der Weise stirbt nach Philostratus nicht; er geht nur in die höhere Daseinsform über. Schon das erste Wiederzusammentreffen mit den Freunden nach jenem Ereignis ist eine ἐπιφάνεια[2], eine Erscheinung eines Gottes. Und wie sie sich davon überzeugen konnten, daß er, derselbe Apollonius, den sie vorher kennengelernt hatten, jetzt tatsächlich noch lebte, und zwar nicht etwa nur als Gespenst, sondern in leibhaftiger Gestalt, so vermögen es nach ihnen die Tausende zu bestätigen, die ihn in Hellas und Kleinasien gesehen haben. Die Erscheinung vor dem ungläubigen Jüngling ist dazu bestimmt, den letzten Zweifel niederzuschlagen. Denn aus ihr soll sich ergeben, daß Apollonius auch dann noch fortlebte, als er dem Anblick der Menschen entzogen war[3].

     In der Vita Apollonii treten demnach dieselben Gesichtspunkte als den Aufbau beherrschend hervor wie in dem Werk des Athanasius. Beidemal richtet sich die höchste Spannung auf den Schluß; auch bei Philostratus kommt alles darauf an, ob der Held sich endgültig bewährt und die Unsterblichkeit gewinnt. Und auch er ist sich dessen bewußt, daß er den Glauben an die Erhebung eines Menschen in den Himmel dem Leser nicht zumuten darf, ohne ihn gleichzeitig durch einwandfreie Tatsachen


  1. VII 41; 294, 17 Kayser: ὡς μὲν ἐγὼ οἶμαι ζῶντα (sc. με ὄψει), ὡς δὲ σὺ οἴει ἀναβεβιωκότα.
  2. VII 41; 294, 15 Kayser: ἐπιφανέντα γάρ με ἐκεῖ ὄψει.
  3. Daß ein derartiger Nachweis am Schluß jeder ähnlichen Erzählung als strenges Erfordernis galt, sieht man wieder am besten aus Lukian. Ich verweise auf den Petegrinos Proteus §39. Lukian, der den gläubigen Zuschauer spielt, sieht einen Geier aus der Flamme sich heben, der gen Himmel fliegend mit Menschenstimme ruft: ἔλιπον γᾶν, βαίνω δ’ ἐς ῎Ολυμπον; §40: ein Kyniker hat den Peregrinos unmittelbar nach der Verbrennung als Verklärten geschaut. – Man erinnere sich auch daran, daß bei der Kaiserapotheose das Aufsteigen des Verewigten in den Himmel durch Augenzeugen festgestellt werden mußte. [Vgl. Arch. f. Rel.–wiss. 1915 S. 36 f.]
Empfohlene Zitierweise:
Karl Holl: Die schriftstellerische Form des griechischen Heiligenlebens. J. C. B. Mohr, Tübingen 1928, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Band_II_-_Der_Osten_(Holl)_266.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)