verschwand der Hirsch vor seinen Augen. Wegen dieser Erscheinung ließen der Graf und seine Frau dort die Kapelle bauen, und noch jetzt schweben ihre Geister in glänzenden Gestalten in mancher Nacht um die verfallene Kapelle.
Unweit der alterthümlichen, in deutschgothischem Baustyl erbauten evangelischen Kirche der Stadt Wertheim, wird in der Sylvesternacht, in der Straße bei dem sogenannten Neuenbrunnen, zu mitternächtlicher Stunde ein vierrädriger Karren gesehen. Derselbe ist ohne Deichsel. In feierlich stillem Zuge wird der Karren vorwärts geschoben von drei Männergestalten ohne Köpfe.
Diese Scene in Augenschein zu nehmen, ist nicht jedwedem Sterblichen vergönnt. Nur gewisse hellsehendere Leute haben das Vergnügen solch’ abenteuerlichen Anblickes. Dieselben müssen jedoch wissen, daß man nicht stehen bleiben darf, um mit Weile das seltsame Begebniß anzuschauen. Denn bedächtig und demüthig müssen die Seher ihre Straße weiter ziehen, sonst sind sie des Todes.
Auf der Reise zum Wormser Reichstag kam Doktor Luther auch nach Wertheim, wo er im Adler einkehrte, und die Zeche für die Bratwürste, die er daselbst verzehrte, schuldig geblieben ist. Als er von der Eichelsteige aus die Stadt ansichtig wurde, sprach er:
„Vom Feuer hat Wertheim nichts zu befah‘n,
Im Wasser aber wird’s untergah’n!“
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 649. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_649.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)