Seite:Badisches Sagenbuch II 423.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Ach, händeringend bat der Greis

20
Um einen Imbiß nur zur Reis’,

Fast brechen ihm die Glieder; –
Umsonst: Erbarmen war hier karg,
Nur Eine, die Novizin, barg
Ein fühlendes Herz im Mieder.

25
Verstohlen reicht, was sie erhascht,

Ihm dar die Maid, doch überrascht
Verhöhnen sie die Nonnen.
In der Angel knarrt die Pfortenthür,
Gelächter schallt wie Spott herfür –

30
Weh euch, was habt ihr begonnen!


Des Fremden Auge blitzend rollt,
Sein Fluch wie dumpfer Donner grollt;
Und rasch mit seinem Stabe
Hat er berührt den Boden kaum,

35
Da lag der weite Klosterraum

Versunken im Erdengrabe.

Wehklage stöhnt aus tiefem Grund,
Rings zischen Flammen aus dem Schlund,
Drinn Wasser draußen und gischen.

40
An schwillt zum dunkeln See die Fluth,

Wie durch ein Wunder grünend ruht
Ein kleines Eiland dazwischen.

Hier, sichtbarlich in Gottes Hand,
Inmitten der Zerstörung stand

45
Die reine Klosterlilie;

Sie führt zum Uferstrand der Greis,
Indeß ertönt vom Wasser leis
Des Nonnenchors Vigilie.

„Kehr’ zu den Deinen,“ – sprach er sanft, –

50
„Doch morgen an der Wogen Ranft,

Daß ich Dein Herz belohne,
Um Mittnacht mit dem Liebsten hier
Zum Brautgeschenk verehr’ ich Dir
Den Schmuck der Myrtenkrone!“

Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_423.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)