Der Schrecken, den er über das Mädchen gebracht hatte, schien dem jungen Manne plötzlich weh zu thun; es war ein zu unschuldig Gesichtlein, das zu ihm aufschaute. „Komm!“ sagte er und hob sie sanft vom Boden; „Du mußt Dich nicht so fürchten; ich mein’ es nicht so schlimm. Nun sag’ mir, wer hat den Vogel denn genommen? Oder hat ihn Jemand nur im Freien eingefangen?“
Sie schüttelte wieder ihr blondes Köpfchen: „Nein,“ sagte sie traurig, „mein Bruder Tiberius hat den Vogel vom offenen Fenster weggeholt.“
„So?“ sagte er: „er schielt; ich kenn’ ihn noch wohl.“
„O thut ihm nichts, Herr Fritz!“ rief sie und hob flehend ihre Hände zu ihm auf; „er hat schon seine Strafe; Großmutter hat es seinen Lehrern angezeigt! Und sagt auch nichts zu Mamsell Riekchen, sagt es keinem Menschen!“
Er stand und sah wie bewundernd auf sie nieder: aus dem noch halben Kinderangesicht hatte das Antlitz der werdenden Jungfrau ihn plötzlich angeblickt.
Theodor Storm: Bötjer Basch. Berlin: Gebrüder Paetel, 1887, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:B%C3%B6tjer_Basch.djvu/103&oldid=- (Version vom 31.7.2018)