Der Morgen, das ist meine Freude!
Da steig ich in stiller Stund’
Auf den höchsten Berg in die Weite,
Grüß Dich Deutschland aus Herzensgrund!
Es war, als wenn mich das Posthorn bei meinem
Liede aus der Ferne begleiten wollte. Es kam, während
ich sang, zwischen den Bergen immer näher und
näher, bis ich es endlich gar oben auf dem Schloßhofe
schallen hörte. Ich sprang rasch vom Baume herunter.
Da kam mir auch schon die Alte mit einem geöffneten
Pakete aus dem Schlosse entgegen. „Da ist auch
etwas für sie mitgekommen,“ sagte sie, und reichte mir
aus dem Paket ein kleines niedliches Briefchen. Es
war ohne Aufschrift, ich brach es schnell auf. Aber da
wurde ich auch auf einmal im ganzen Gesichte so roth,
wie eine Päonie, und das Herz schlug mir so heftig,
daß es die Alte merkte, denn das Briefchen war von –
meiner schönen Fraue, von der ich manches Zettelchen
bei dem Herrn Amtmann gesehen hatte. Sie schrieb
darin ganz kurz: „Es ist alles wieder gut, alle Hindernisse
sind beseitigt. Ich benutzte heimlich diese Gelegenheit,
um die erste zu seyn, die Ihnen diese freudige
Botschaft schreibt. Kommen, eilen Sie zurück.
Es ist so öde hier und ich kann kaum mehr leben, seit
Sie von uns fort sind. Aurelie.“
Die Augen gingen mir über, als ich das las, vor Entzücken und Schreck und unsäglicher Freude. Ich schämte mich vor dem alten Weibe, die mich wieder abscheulich anschmunzelte, und flog wie ein Pfeil bis
Joseph von Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Vereinsbuchhandlung, Berlin 1826, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Aus_dem_Leben_eines_Taugenichts_und_das_Marmorbild.djvu/77&oldid=- (Version vom 31.7.2018)